Wirtschaftlichkeitsaspekt ist Trumpf zukünftiger automatisierter Verkehre
Der zügige Ausbau eines 5G-Netzes ist eine Grundvoraussetzung für zukünftig fernüberwachte Shuttle-Verkehre.
Von Jochen Reitstätter
Sie sprossen fast wie Pilze aus dem Boden in den vergangenen Jahren: Projekte, die hochautomatisierten und autonomen Verkehr erproben und entwickeln. Die Geschwindigkeit war und ist hierbei beträchtlich, der Weg zur echten Autonomie im öffentlichen Raum jedoch noch weit. Denn es gilt nicht nur, rein technische Probleme zu lösen, sondern vor allem digitale Hindernisse zu überwinden. Zudem muss die notwendige Infrastruktur bei der Netzabdeckung auch in ländlichen Gebieten aufgebaut werden.
Wie verbessert man beispielsweise Schwachstellen im Öffentlichen Verkehr (ÖV)? Fahrermangel in Straßenbahnen und Bussen – kein Problem für autonom fahrende Shuttles, hier reicht deutlich weniger Personal in der Leitstelle. CO2-Emissionen? Bei elektrischen Antrieben nicht vorhanden, jedenfalls nicht bei Verwendung von Ökostrom. Verkehrsangebote zu schwach ausgelasteten Verkehrszeiten oder auf ländlichen Linien? Relativ einfach zu bewerkstelligen mit kleinen fahrerlosen Einheiten.
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Bevölkerung aufgeschlossen gegenüber automonem Verkehr
Mittlerweile sind viele Pilotprojekte schon über die reine technische Erprobung von selbstfahrenden Shuttles hinaus. In dieser Phase wurden unterschiedliche Bedarfsszenarien erprobt wie touristische Verkehre, Alltagsverkehre auf bestimmten Linien und auch Werksverkehre zwischen Unternehmensstandorten. Mit klarem Erkenntnisgewinn: Die Bevölkerung sei für die autonomen Verkehre sehr aufgeschlossen, sagt Prof. Dr. Mathias Wilde, der an der Hochschule Coburg unter anderem Akzeptanzstudien in der Shuttle Modellregion Oberfranken durchführte. Diese Projekte hätten eine hohe Akzeptanz genossen, aber die Erwartungen an das System seien eben ebenso hoch, so Wilde.
Die Menschen, so der Experte unter anderem für regionale Verkehrsgestaltung und Konzepte nachhaltiger Mobilität, erwarten mit den neuen Verkehren eine Verbesserung des ÖPNV. Dafür muss jedoch noch die Systemsicherheit und Zuverlässigkeit verbessert werden, so Wilde. Ist die Technik erst einmal da, ist das System leicht skalierbar, also erweiterbar, um mit mehr Fahrzeugen und Angeboten den Öffentlichen Verkehr attraktiver zu machen.
Testfahrt mit fahrerlosen Bus - Fast ohne Unterstützung fährt der fahrerlosem Bus während der Testfahrt auf dem Parkplatz des BMW Werksgeländes.
Wirtschaftlichkeit als Pro-Argument
Aufgrund des geringen Personalbedarfs ist auch für die Aufgabenträger, also diejenigen, die den öffentlichen Verkehr finanzieren, das autonome Fahren ein relativ kostenarmes System. Zumindest in einer Zukunft, in der massenhaft automatisierte Vehikel unterwegs sind.
Genau dieser Kostenaspekt ist auch für Marc Backhaus, Pressesprecher bei den Leipziger Verkehrsbetrieben, ein großer Pluspunkt: „Wenn die Technik einmal steht, müssen wir zu einer Serienproduktion kommen, um mit vielen Fahrzeugen auch ein deutlich besseres Verkehrsangebot machen zu können“, so Backhaus.
Gerade auf dem Land ließen sich mit den relativ kleinen Shuttles und zukünftig ohne Fahrer deutlich mehr Strecken bedienen, erläutert Verkehrsexperte Daniel Herfurth von der Universität Konstanz. „Zum Beispiel, um einen Bahnhof anzubinden, bislang unrentable Linien zu eröffnen oder dort zusätzliche Angebote zu ermöglichen, wo bislang nur Schülerverkehr angeboten wird.“
Die benötigten Maßnahmen in vorhandene Verkehrsinfrastruktur – wie etwa für die Überquerung eines Bahnübergangs – waren im Projekt der Shuttle Modellregion Oberfranken aufwendig und teuer.
Hohe Entwicklungs- und Betriebskosten in Pilotphasen
Ohne massive Fördergelder für die Entwicklungsphasen vor einem Masseneinsatz werden die selbstfahrenden Fahrzeuge jedoch schwerlich vorankommen, wie auch das Vorhaben in Rehau in Oberfranken zeigte. „Das Pilotprojekt selbstfahrender Shuttles im Werksverkehr zwischen unseren Standorten in Rehau hat in Bezug auf die eingesetzte Technologie auch Grenzen aufgezeigt“, erklärt Andrea Schmidt, Group Communications bei Rehau Industries. „Die Geschwindigkeit im Werksverkehr war zu niedrig. Und die Maßnahmen an der Verkehrsinfrastruktur sind noch viel zu aufwendig im Vergleich zum erzielten Nutzen.“
Die möglichen Ereignisse und Vorkommnisse auf einer öffentlichen Straße außerhalb von einem planbaren Laborumfeld sind „aus Sicht“ eines autonom fahrenden Shuttles faktisch unendlich. Wetterauswirkungen, in das Fahrprofil des Fahrzeugs hereinfliegende Blätter, Äste oder auch Menschen sowie regelwidrige Aktionen anderer Verkehrsteilnehmer – das System muss lernen, all dies richtig einzuschätzen, mit Algorithmen vorauszuberechnen, was als Nächstes passiert und ob dies eine Notbremsung rechtfertigt oder nicht. Die Anforderung an die zugrundeliegende Software ist also enorm, die Voraussetzungen an die digitalen Netze ebenso.
Die benötigten Maßnahmen in vorhandene Verkehrsinfrastruktur – wie etwa für die Überquerung eines Bahnübergangs – waren im Projekt der Shuttle Modellregion Oberfranken aufwendig und teuer.
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Fotos und Video: Rehau Industries, Jochen Reitstätter, Hochschule Coburg
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