Von Ulrich Milde
In der Textilindustrie der neuen Länder hängt die Wettbewerbsfähigkeit zahlreicher Unternehmen am seidenen Faden. Dabei wird kein Licht am Ende des Tunnels gesehen. Das geht aus den Ergebnissen einer Umfrage hervor, die der Verband der Nord-Ostdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie (vti) mit Sitz in Chemnitz jetzt erhoben hat.
„Die Energiekosten stellen das größte Problem dar“, erläuterte Hauptgeschäftsführer Jenz Otto. Es folgten Rechts- und Planungssicherheit sowie die Arbeitskosten. „Die Produktion hochspezialisierter Textilien in Deutschland, die in der ganzen Welt hohes Ansehen genießt, ist zum unternehmerischen Risiko geworden“, ergänzte Uwe Mazura, Hauptgeschäftsführer beim Gesamtverband textil+mode.
„Die Bundesregierung will nicht begreifen, dass für das in Deutschland produzierende Gewerbe die Energiepreispolitik der Schlüssel für die Wettbewerbsfähigkeit ist“, kritisierte er. Die Folgen seien mittlerweile deutlich zu spüren. Jüngste Gespräche tarifgebundener Textilfirmen des Verbandes verdeutlichten die kritische Lage. Keiner der Betriebe gehe in den nächsten Monaten mehr von einem Wachstum aus.
Auftragsrückgänge stünden auf der Tagesordnung. „Langfristig wird in der Produktion mit deutlich verringertem Volumen gerechnet“, sagte Mazura.
„Abwanderung von Firmen ist keine Befürchtung, sondern bittere Realität.“
Jenz Otto, Hauptgeschäftsführer Nord-Ostdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie (vti)
Abwanderung ist Realität
Otto verwies darauf, dass nur noch 60 Prozent der Unternehmen ihre aktuelle wirtschaftliche Situation mit „gut“ oder „befriedigend“ bezeichneten. Es sei noch nicht das Vor-Corona- Niveau wieder erreicht worden. 2023 sei der Umsatz unterm Strich um 13 Prozent gesunken, für dieses Jahr werde mit einem weiteren Rückgang gerechnet.
Die schwierige Lage und die trüben Aussichten haben nach seinen Angaben bereits Konsequenzen. „Abwanderung von Firmen ist keine Befürchtung, sondern bittere Realität“, sagte er im Gespräch mit der LVZ-Wirtschaftszeitung. Betriebe, die bereits jetzt im kostengünstigeren Ausland produzierten, lagerten weiter dorthin aus. Die Investitionsquote hierzulande werde reduziert, dafür werde Geld ins Ausland gesteckt.
Die Reaktionen der Unternehmen auf die Folgen der Standortbedingungen sprächen Bände. Ganz vorn mit fast 80 Prozent stünden die Themen Effizienzsteigerung und Ausgabenreduktion – auch der Arbeitskosten –, gefolgt von Innovation, Einführung neuer Technologien oder Erweiterung der Märkte.
„Ein Flächenbrand ist zwingend zu vermeiden“, sagte Mazura. Die alarmierenden Meldungen aus den Leitindustrien, die vermehrt mit Arbeitsplatzabbau drohten, steigerten nicht die Zuversicht seiner Mitgliedsunternehmen. „Diese Entwicklung wird sich zwangsläufig auf die Zulieferstrukturen ausdehnen.“
Otto sagte, die Politik sei gefordert, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, die die Rahmenbedingungen für die mittelständische Industrie verbesserten.
Einer der großen Standorte
Der vti umfasst die neuen Bundesländer einschließlich Berlin. Von den 16.000 Beschäftigten sind 12.000 in Sachsen und 2500 in Thüringen tätig. Damit gehört diese Region neben Nordrhein- Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern zu den vier großen deutschen Textilstandorten. Sie verfügt über moderne Spinnereien, Webereien, Strickereien, Wirkereien, Vliesstoffhersteller, Stickereien, Veredelungsbetriebe und Konfektionäre sowie über leistungsfähige Forschungs- und Bildungseinrichtungen.
Weit mehr als die Hälfte des Umsatzes der ostdeutschen Textil- und Bekleidungsbranche entfiel bislang auf die Technischen Textilien, gefolgt von den Heimtextilien mit rund 30 Prozent und dem Bekleidungssektor mit 10 Prozent. Der vti wirkt als Interessenvertreter auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene, als Tarif- und Sozialpartner sowie als Dienstleister für seine 160 Mitgliedsunternehmen.
Otto sagte, die Zahl der 16.000 Beschäftigten sei „mit Vorsicht“ zu betrachten. Schließlich würden in der Statistik nur Betriebe erfasst, die mehr als 50 Beschäftigten hätten. „Viele unserer Firmen in Ostdeutschland sind aber kleiner.“
Bundesweit kommt die Branche mit ihren 1400 Unternehmen und 122.000 Mitarbeitern auf einen Jahresumsatz von 32 Milliarden Euro. Umsatztreiber sind die technischen Textilien, die unter anderem in der Automobilindustrie und der Chemie zum Einsatz kommen.
Die Textil- und Bekleidungsindustrie bildete historisch gesehen die Speerspitze der industriellen Revolution. Vor allem in Webereien und Spinnereien wurde die maschinelle Produktionsweise im großen Maßstab erprobt und umgesetzt.
Beispiel 1
Herrenausstatter David van Laak trotzt der Krise in der Modebranche
Die Lage in der Modebranche ist alles andere als rosig. Manche Unternehmen, darunter Riesen wie der Konzern H&M, legen Sparprogramme auf, andere wie Gerry Weber, Hallhuber und große Häuser von Peek & Cloppenburg schlitterten 2023 in die Insolvenz, können aber zumeist dank ausgeklügelter Sanierungspläne weiter ihre Kunden bedienen.
Kaufzurückhaltung, verursacht unter anderem wegen der hohen Inflation, steigender Energiekosten und der unsicheren wirtschaftlichen Lage, zählt zu den Gründen.
David van Laak mit seinem Herrenausstatter-Geschäft („David van L“) ist da offenkundig wie ein Fels in der stürmischen Brandung.
„Wir haben 2023 den höchsten Umsatz in unserer neunjährigen Firmengeschichte erzielt“, berichtet der 52-Jährige. Von Krisenstimmung also keine Spur. „Wir jammern überhaupt nicht“, betont der gebürtige Münsteraner.
Verzicht auf Laufkundschaft
Was wohl auch maßgeblich daran liegt, dass der Hobby-Segler ein eher ungewöhnliches Konzept verfolgt, dass ihn auch über die Flauten während der Corona-Pandemie getragen hat. Das fängt schon mit der Lage seines 400 Quadratmeter großen Ladens an. Er befindet sich nicht in der Leipziger Innenstadt, sondern im Industriepalast, an der viel befahrenen Brandenburger Straße östlich des Hauptbahnhofs.
Laufkundschaft fehlt somit, dafür ist die Sichtbarkeit hoch. Zu van Laak kommen die Kunden gezielt, haben in der Regel einen Termin ausgemacht. „Dadurch können wir eine Beratung ohne Zeitdruck garantieren.“
Das leitet zu einem weiteren Aspekt über, auf den der Modehändler extrem viel Wert legt . „Wir glauben, dass unsere Gäste sich am wohlsten fühlen, wenn sie spüren, dass unsere Verkäufer ihnen authentisch, fachlich kompetent und ehrlich zur Seite stehen.“ Wenn dem Gast ein Jackett nicht passe, „dann sagen wir das und erklären es“. Hier gehe es um Passformkriterien und stilsicheres Auftreten.
Gestartet wird in der Regel immer gerne mit einem frischen Kaffee. Nebenbei: Auch in den Anproberäumen stehen Getränke bereit, ebenso kann eine Ladestation für das Handy genutzt werden.
Baukastensystem
Ein weiterer wichtiger Punkt für van Laak ist das, was er Größenverfügbarkeit nennt. „Entschuldigung, aber in Ihrer Größe haben wir das nicht mehr da – so etwas gibt es bei uns nicht“, sagt der verheiratete Vater von drei Kindern.
Und wenn für die Hose eine andere Größe als für das Sakko benötigt wird, dann sei das ebenfalls kein Problem. „Wir bieten unser gesamtes gehobenes Sortiment im Baukastensystem an.“ Einen Kleidersack und eine kostenlose Premiumerstreinigung für den Anzug gibt es obendrauf.
Ungewöhnlich sind auch die Öffnungszeiten. Von Dienstag bis Freitag ist das Geschäft von 13 bis 20 Uhr auf, samstags von 10 bis 16 Uhr. Seit einiger Zeit bleiben die Türen montags geschlossen.
Zu Umsatzeinbußen habe das nicht geführt. „Wir haben zuvor unsere Gäste befragt“, berichtet der Firmenchef. Händler, die ihr Heil in längeren Öffnungszeiten suchten, seien auf dem Holzweg. Im Gegensatz zu vielen Konkurrenten wirbt van Laak auch nicht mit Preisnachlässen. „Wir haben noch nie Rabatte gegeben.“
Pandemie halbwegs gut überstanden
Natürlich sind die Einschränkungen während der Corona-Pandemie auch an van Laak nicht spurlos vorüber gegangen. „Das haben wir schon bei unseren Erlösen gemerkt.“
Das Geschäft durfte längere Zeit nicht geöffnet werden, zudem fielen viele Messen weg und damit die Aufträge für Anzüge der Mitarbeiter an den Ständen. Auch Hochzeitsfeiern fanden zumeist nur im kleinen Rahmen statt.
Der Unternehmer hat darauf reagiert. „Wir haben alle möglichen Maßnahmen ergriffen, um halbwegs gut durch die Krise zu kommen.“ So hat er zusammen mit Herstellern aus der Region Masken produziert und verkauft. „Das hat ein Stück weit geholfen.“ Zudem wurde ein Buchungstool entwickelt, das in der Folge die Planungssicherheit deutlich verbessert hat.
In seinem Geschäft hat der Modeexperte ein Änderungsatelier eingerichtet. Und am Leipziger Dittrichring wurde die David van L. Maßlounge eröffnet. Hier können sich die Kunden den für sie perfekten Anzug (Van Laak: „Jeder einzelne ist ein handwerkliches Meisterexemplar“) anfertigen lassen.
Das benötigt zahlreiche Schritte, von der Beratung über die Vermessung und der Schnitterstellung bis hin zur Anfertigung. So entstehen die exklusiven Einzelstücke.
Gast steht an erster Stelle
An erster Stelle steht bei van Laak der Gast, dann folgen die Mitarbeiter. Erst zum Schluss kommt der Chef selbst. „Das ist unsere DNA.“ Die Beschäftigten hätten einen großen Entscheidungsspielraum, um eigenständig im Sinne der Kunden handeln zu können – mit Rückendeckung durch die Geschäftsführung.
Mit der Konzentration auf diese Aspekte sieht van Laak sich für die Zukunft gut gerüstet. „Man muss zugleich offen für Veränderungen sein und eine Mannschaft haben, die bereit ist, mitzuziehen und eigene Ideen einzubringen.“ Erfreulicherweise habe er das. „Ich bin stolz auf mein Team.“ Das er nach eigenen Angaben besser entlohnt als im Branchenschnitt üblich.
Auch der Onlinehandel macht ihm keine Sorgen. „Er sorgt für ein Alleinstellungsmerkmal von Geschäften wie unseres, da wir individuell beraten und unsere Gäste wertschätzen. Deshalb ist der stationäre Handel so wichtig wie nie zuvor.“
Vorausgesetzt, es dreht sich alles um den Kunden.
Beispiel 2
Modedesignerin Silke Wagler setzt auf kunsthandwerkliche exklusive Kleidung
Sie hat beruflich Höhen und Tiefen erlebt. Aufgeben ist jedoch nicht ihr Ding. Auch wenn die Aussichten ungewiss sind, das Umfeld abrät: „Ich möchte Mut machen, den Wunschberuf zu ergreifen, wenn es in einem brennt“, sagtSilke Wagler. Das beinhalte zwar auch Verzicht und könne schlaflose Nächte verursachsen, bereite aber auf der anderen Seite auch viel Freude. Und das überwiegt.
Die renommierte Leipziger Modemacherin geht dabei mit gutem Beispiel voran, lässt sich von schwierigen Rahmenbedingungen nicht ausbremsen. Als Folge der Corona-Pandemie musste sie ihr Couture-Atelier im Thomaskirchhof schließen, anstatt dort wie ursprünglich geplant ihr 30-jähriges Firmenjubiläum zu feiern. Es gab kaum noch Hochzeiten, Abi-Bälle oder andere Feste, die Umsätze brachen ein.
Mit ihren Anzügen und Kleidern hatte sie sich einen Namen gemacht. Die Kunden kamen nicht nur aus der Region, sondern auch aus Wien und Zürich, New York, Frankfurt, Hannover und Berlin.
Jetzt ist die Modedesignerin dabei, in neuen Räumen, in einem ehemaligen Kutscherhaus in der Käthe-Kollwitz-Straße, idyllisch direkt am Elstermühlgraben gelegen, wieder durchzustarten. „Das ist ein herausfordernder, spannender Abschnitt.“
Geschäft ruht auf drei Säulen
Dabei beruht ihr Geschäft, das nun keine Laufkundschaft hat, sondern in dem Termine vergeben werden, auf drei Säulen. Im Bereich Couture entstehen im Atelier individuell geschneiderte Unikate „in bewusst gepflegter kunsthandwerklicher Tradition“, wie Wagler sagt. Da zeichnet sie selbst die Entwürfe.
Der Privilege Club umfasst Maßkonfektionen, die in der Messestadt entworfen und später in Portugal genäht werden. Neu ist die Sparte Pret-à-Porter – Kleidung in limitierter Stückzahl. Im Gegensatz zur Couture wird die Bekleidung nicht maßgeschneidert, sondern kommt in gängigen Größen auf den Markt. Dazu hat sie zusammen mit ihrem Lebens- und Geschäftspartner Steve Rosenstock eine GmbH gegründet.
„Wir haben uns vorher überlegt, welche Klassiker gut gelaufen sind“, sagt die gebürtige Leipzigerin. Dazu gehören Wickelkleider und Wickelblusen. Alle Schnitte seien überarbeitet worden. Nun sollen sie „auch online sichtbar gemacht werden“.
Gefertigt wird diese Kleidung im Erzgebirge. „Wir versuchen generell, so viele Aufträge wie möglich in die Region zu vergeben.“
Einsatz Künstlicher Intelligenz
Dabei scheut sie sich nicht davor, Künstliche Intelligenz (KI) einzusetzen. Das ermöglicht „ganz neue Werkzeuge“, um etwa exklusive Mode kleiner Firmen bekannt zu machen. „Wir wollen damit zeigen, dass man mit handwerklichen Produkten Geld verdienen kann“, betont Rosenstock.
Der gebürtige Dessauer hat früher Start-ups fit gemacht und kümmert sich im Unternehmen auch um die Digitalisierung der Prozesse. „Wir versuchen so, alles zu optimieren.“ Große Lagerhaltung etwa gibt es nicht mehr, das drückt die Kosten.
Rosenstock glaubt für Wagler an eine gute geschäftliche Zukunft. „Diejenigen, die wie wir die komplette Wertschöpfungskette bieten, werden überleben“, sagt der Betriebswirt voraus. Schwierig werde es für alle Ketten, die im mittleren Preissegment anbieten. „Entweder billig – oder teuer“, so werde sich der Markt aufstellen.
„Wir bedienen das obere Segment und bringen so Frische in den Textilmarkt.“ Weshalb Rosenstock von vornherein ausschließt, ein riesiger Betrieb mit nur einem Produkt zu werden. „Wir bleiben bei dem, was wir können. Deshalb wird es uns noch ganz lange geben.“ Klein, aber fein.
Im Sozialismus nicht bewährt
Ihre Liebe zu Mode und Stoffen hatte Wagler aus dem Elternhaus mitgebracht. Der Vater war in der Textilwirtschaft tätig. Sie erlernte den Beruf des Herrenmaßschneiders, dabei wollte sie eigentlich Schneiderin für Bühnenkostüme studieren. Das ging aber nicht, weil ich mich im Sozialismus nicht bewährt hatte“, erinnert sie sich.
Kurz vor der Wende schlug sie eigene Wege ein, nähte Kostüme für kleine Leipziger Bühnen. Mit 22 Jahren machte sie sich 1990 selbstständig, wohnte zunächst in einem besetzten Haus. Sie war für ein vereintes Deutschland auf die Straße gegangen. „Viele Menschen haben kurz vor der Wiedervereinigung Leipzig den Rücken gekehrt. Das hat bei mir eine Trotzreaktion ausgelöst.“
Leipzig war wegen der Messe stets eine auch für Mode weltoffene Stadt, weshalb das Risiko überschaubar war. Ihre erste Kollektion feierte 1994 Premiere.
Die Kunsthandwerkerin bricht eine Lanze für ihren Beruf. Ihr Ziel sei es, diese Tradition in die Zukunft zu überführen. „Das ist nur mit dem Engagement der jungen Leute zu meistern.“ Deshalb hat sie auch viele Lehrlinge gehabt. „Ich halte es gesellschaftlich für wichtig, auszubilden.“ In Hoch- wie Tiefzeiten.
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