Frauen in der Gründerszene
Hülsenreich: Mit Kichererbsen zum Erfolg
von Nannette Hoffmann
Im Jahr 2019 hat Emilie Wegner im Alter von 24 Jahren das Lebensmittel-Start-up „Hülsenreich“ gegründet. Ein Unternehmen, das aus Kichererbsen gesunde Snacks herstellt. Der Frauenanteil bei Start-up-Gründungen lag damals bei 15,7 Prozent - inzwischen ist dieser Anteil auf knapp über 20 Prozent angestiegen.
Das zeigt der Female Founders Monitor 2022 und beweist, dass trotz einer stetigen Steigerung Frauen im Start-up-Ökosystem weiterhin unterrepräsentiert sind. Wie Emilie Wegner ihre Gründung erlebt hat, mit welchen Herausforderungen sie konfrontiert war, ob sie diesen Schritt wieder gehen würde und was sie zukünftig plant, berichtet sie hier.
Emilie Wegner läuft die Treppe neben der Produktionshalle nach oben in den Konferenzraum. Dabei fällt ihr Blick auf die Röstmaschine. Sie ist das Herzstück der Produktion und der Grund für den Umzug vor zwei Jahren in den Industriepark nach Eutritzsch.
Die Röstmaschine verarbeitet pro Stunde 50 Kilogramm Kichererbsen aus italienischem Anbau und macht sie zur Grundlage der Snacks, die Hülsenreich in neun salzigen und vier süßen Geschmacksrichtungen produziert. „Aktuell laufen wir auf Höchstlast. Wir produzieren bis zu 75.000 Tüten im Monat“, sagt sie.
Schmackhafte Start-up-Idee
Die Idee zur Gründung eines eigenen Unternehmens kam ihr während des Studiums der Ernährungswissenschaften an der Martin-Luther-Universität in Halle (Saale). Oder anders gesagt: aus ihrer Leidenschaft für die Kichererbse heraus. „Ich wollte einfach ein gutes Produkt machen und auf den Markt bringen. Dazu hat eben gehört, dass ich ein Unternehmen gründe“, sagt die heute 29-Jährige.
Sie sei quasi von der Produktseite ins Unternehmertum hineingewachsen. Erfolgreich, muss man anerkennen. Steigerung des Wachstums, der Umsatzzahlen, der Verkaufsstellen und des Teams sowie Vergrößerung der Produktionsstätte innerhalb von fünf Jahren.
Konzept für gesunde Ernährung
Ihr Konzept der gerösteten Kichererbsen gab es schon in den USA und Indien. Aber eher in exotischen Verbindungen und unter dem Begriff „Super Food“. In Deutschland und Europa dagegen war es still rund um die Hülsenfrucht.
„Ziel meiner Gründung war und ist es, Snacks gesünder zu machen und zu zeigen, was die Hülsenfrucht, die im Prinzip vor unserer Haustür wächst, so alles kann“, sagt Emilie Wegner. „Nämlich lecker sein und gesund.“
Von Hause aus seien Kichererbsen vegan, zucker- und glutenfrei. „Alles Themen, die heute mehr denn je eine Rolle in unserer Ernährung und unserem Alltag spielen“, weiß sie.
„Als wir gegründet haben, waren wir die ersten, die Hülsenfrüchte als Snack ins Regal gestellt haben. Heute, fünf Jahre später, finden mehr solcher Produkte in die Märkte.“
Blick in die Produktionshalle: Hergestellt werden die Hülsenreich-Snacks in Leipzig-Eutritzsch.
„Ich wollte einfach ein gutes Produkt machen und auf den Markt bringen. Dazu hat eben gehört, dass ich ein Unternehmen gründe.”
Emilie Wegner, Gründerin Hülsenreich
Ohne BWLer geht es nicht
Im Gründungsprozess hat sie zu Beginn finanzielle Unterstützung über den Gründerservice der Martin-Luther- Universität beantragt. „Hier sagte man mir, ich bräuchte eine Kompetenzerweiterung im Team, um genau zu sein, betriebswirtschaftliche Kompetenzen, um (erfolgreich) an den Markt zu gehen.“
Oft, weiß sie heute, sei die Initialzündung eines Start-ups anders. „Da gibt es BWL-Teams, die eine Marke entwickeln und sich dann Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftler suchen, die das Produkt dazu entwickeln.“
Sie sei aus der anderen Richtung gekommen: Zuerst war das Produkt da, dann kam die Marke. „Ich habe daraufhin zwei BWLStellen ausgeschrieben.“ Beworben hatten sich ausschließlich Männer. Ihre Entscheidung fiel auf Simon Vogt und Gunnar Schulze. Sie brachten in Hülsenreich die Kompetenzen in Wirtschaftswissenschaft und Marketing ein.
Bei der Präsentation meiner Idee bei externen Investoren hat sich eine Art Dynamik entwickelt: Ich war diejenige, die das Produkt vorgestellt hat. Die harten Finanzfakten haben Simon und Gunnar vorgebracht. So wurden wir dann auch wahrgenommen – mir allein hätte man das alles nicht zugetraut.“ Es war aber keine Strategie, es sei einfach passiert, dass in der Außenpräsentation jeder den Part übernommen hat, den er am besten konnte.
Das habe sich zwei Jahre später gewandelt. „Simon ist seit drei Jahren weg und ich mache den Vertrieb allein und selbst die Finanzumsatzplanung liegt mittlerweile zu 80 Prozent in meinen Händen“, betont Emilie Wegner.
Einen eigenen Weg eingeschlagen
„Ich dachte am Anfang, dass es reicht, wenn ein Produkt gut ist, dann wird das schon gekauft. Aber dass dazu noch so viele andere Themen gehören, war mir nicht so klar. Da bin reingewachsen. Marke aufbauen, Kommunikationsstrategie, Netzwerk bilden, Außenpräsentation – auch bezogen auf die eigene Person.“
Gerade das Thema Netzwerken sei sehr wichtig. „Ich habe mir viele Infos von der Gründerinitiative eingeholt und Veranstaltungen besucht, wo Gründerinnen mit mir gepitcht, von ihren Erfahrungen berichtet haben. Ihr Erfolg hat mir gezeigt, ich kann das auch“, erzählt sie.
Emilie Wegner habe ohne Erfahrung gegründet und ohne unternehmerischen Background in der Familie. Das hatte seine Vor- und Nachteile. Ein großer Vorteil bestand darin, dass sie mutiger agierte. „Was man nicht kennt, macht einem auch keine Angst. Dadurch war ich sehr innovativ, habe viel ausprobiert. Ich habe mir meinen eigenen Weg gesucht und keinen vorgefertigten eingeschlagen“, erklärt sie.
Und Nachteile? „Ich bin im fünften Gründungsjahr und lerne immer noch Dinge dazu, die gut wären bereits am ersten Tag zu wissen.“ Bürokratische Dinge zum Beispiel – Wer weiß schon, was ein Zolltarif ist? „Und, dass Netzwerke das A und O sind. Gerade in Bezug auf Messen. Da habe ich gelernt, im Vorfeld der Messe auf Einkäufer zuzugehen, sie an meinen Stand einzuladen.“
Von der Gründerin zur Geschäftsführerin
Die Jahre brachten Emilie Wegner auch immer mehr Erfahrung bei. „Ich entwickle mich immer mehr zur Geschäftsführerin des Unternehmens. Am Anfang war ich Gründerin und habe alles gemacht, sogar produziert. Jetzt habe ich ein Team aus 13 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die ich leite.“
Dabei musste sie auch lernen, Verantwortung abzugeben, es anderen zuzutrauen. „Aber so kann ich mich auf andere Dinge konzentrieren“, betont sie. Denn gerade die Produktion sei eine Herausforderung. „Eigentlich ist es unüblich, dass ein Start-up selbst produziert. Aber wir wollten es so, schon deshalb, um bei der Produktion die volle Kontrolle – auch in Sachen Qualität – zu haben.“
Zukunft bringt Automation
Mit Blick auf die Zukunft sei es das Ziel, „das Unternehmen profitabel zu bekommen“. Das ist es bislang noch nicht. „Die Skalierung erschwert es uns. Skaliert wird derzeit noch über Menschen, das geht auf Dauer aber nicht, wenn wir die Kosten stabil halten wollen. Das heißt, wir müssen Prozesse automatisieren, um die Absätze zu erhöhen.“
Ein weiteres Thema, dem sich Emilie Wegner annehmen möchte, ist die regionale Wertschöpfungskette. Hülsenreich bezieht die Kichererbsen aus Italien. „Mein Wunsch wäre es, sie aus Deutschland zu bekommen. Dazu führe ich derzeit Gespräche mit Landwirten.“
Auch die Verbreitung soll ausgebaut werden. Rund 2500 Verkaufsstellen bieten laut Emilie Wegner in Deutschland mittlerweile die Bio- Snacks von Hülsenreich an, darunter zum Beispiel Rossmann, Müller und Rewe. „Der Onlineshop lief von Beginn an mit.“ Auch hier wurde in Personal investiert und der Shop weiterentwickelt.
Ein Leben neben Hülsenreich
Was Emilie Wegner in der Gründungszeit und heute noch hilft, ist sich immer eine Identität beizubehalten , die nicht Hülsenreich betrifft. „Ich bin weiterhin Freundin, Sportlerin, Tochter … Und Wochenende ist Wochenende. Das ist mir wichtig“, sagt sie. Wenn sie den Kopf mal frei bekommen möchte, fährt sie Rad, geht bouldern oder zum Yoga. Für sie ist Hülsenreich wie ein Baby, um das man sich intensiv kümmert, das Aufmerksamkeit und Liebe braucht, um sich zu entwickeln, nun Stück für Stück wächst und selbstständiger wird. Vielleicht ein Zeitpunkt, um noch mal zu gründen? „Warum nicht? In diesem kreativen Freiraum fühle ich mich sehr wohl.“
Die Röstmaschine verarbeitet pro Stunde 50 Kilogramm Kichererbsen aus italienischem Anbau. Insgesamt können so im Monat bis zu 75.000 Tüten produziert werden.
Frauen in der Gründerszene: Erfolgsmodell oder Seltenheit?
Der Gründerinnenanteil unter deutschen Start-ups ist zwischen 2020 und 2022 laut dem Female Founders Monitor 2022 von 16 auf 20 Prozent gestiegen. Das spiegelt sich auch in der Teamzusammensetzung wider: 37 Prozent der Start-ups haben mittlerweile mindestens eine Frau im Gründungsteam. Das klingt doch nach Wachstum? Oder trügt der Eindruck? Verena Pausder, Chefin des deutschen Start-up-Verbands, führt für die LVZ-Wirtschaftszeitung einen Faktencheck zum Thema durch.
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Fotos: André Kempner, Hülsenreich, Patrycia Lukas
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