Für die Zukunft gerüstet – Investitionen und Innovationen in Mitteldeutschland werden mutiger
E-Auto-Batterien, Windparks, Superkondensatoren, Chipfabrik und viele weitere Beispiele aus dem mitteldeutschen Raum zeigen, wie sich die hiesige Wirtschaft auf die Zukunft einstellt. Es zeigt sich – die Investitionen werden nachhaltiger und Technologie-fokussiert. Doch an der einen oder anderen Stelle, etwa beim Fachkräftemangel oder der Infrastruktur, benötigen die Akteurinnen und Akteure stärkere Unterstützung von politischer Seite.
Chip, Chip, hurra!
Kristian Kirpal, Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) Leipzig, berichtet über die Investitionsbereitschaft der Betriebe im Leipziger Raum und in Ostdeutschland
von Ulrich Milde
Das Schlimmste bleibt wohl aus. „Die Stimmung der gewerblichen Wirtschaft hat sich gegenüber dem Tiefpunkt im Herbst 2022 verbessert“, berichtet Kristian Kirpal, Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) Leipzig. „Damit stehen die Chancen gut, dass die zuletzt befürchtete schwere Rezession ausbleibt“, so der Unternehmer. Trotzdem blieben die Aussichten verhalten. „Es ist momentan kein Wirtschaftsbereich auszumachen, der die Rolle des Konjunkturmotors übernehmen könnte.“ Gleichwohl sei die hiesige Wirtschaft „unglaublich gut durch die Krise gekommen“, meinte kürzlich Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung und fügte hinzu: „Mir ist nicht bange um die weitere Entwicklung der Region.“
Rege Investitionstätigkeit in der Region Leipzig
Es besteht also Hoffnung. Zwar ist nach Kirpals Angaben die jetzige Investitionsbereitschaft der Betriebe „eher zurückhaltend“. Da wirken sich die politischen Unsicherheiten durch den Ukraine-Krieg ebenso aus wie die massiv gekletterten Energiepreise und die gestiegenen Finanzierungskosten. „Mittelfristig ist in der Region Leipzig dennoch eine rege Investitionstätigkeit zu beobachten“, informiert der Präsident und verweist auf eine Übersicht der Kammer, in der 160 ausgewählte Projekte mit einer Investitionssumme von zusammen mehr als 12 Milliarden Euro ausgewiesen sind.
Allein in die Elektromobilität und den Ausbau der erneuerbaren Energien fließen gut 2,1 Milliarden Euro. Der Löwenanteil entfällt auf das Leipziger BMW-Werk. Dort wird für 800 Millionen Euro eine Fertigung für Hochvoltbatterien für E-Autos hochgezogen. In Markranstädt wird für 200 Millionen Euro eine Fabrik für Superkondensatoren gebaut, in Borna ist für 400 Millionen Euro ein Windpark vorgesehen. Die Mibrag steckt 100 Millionen Euro in den Windpark Breunsdorf.
BMW baut die Fertigung von Hochvoltbatterien für E-Autos in Leipzig aus und investiert dafür bis Ende 2024 ingesamt 800 Millionen Euro. Acht neue Produktionslinien sollen entstehen und bis zu 1000 Mitarbeiter künftig in dem Bereich arbeiten – 300 mehr als aktuell.
„Die Stimmung der gewerblichen Wirtschaft hat sich gegenüber dem Tiefpunkt im Herbst 2022 verbessert.“
Kristian Kirpal, Präsident der Industrie- und Handelskammer Leipzig
Und es geht weiter. Einige Beispiele: Da steht der Umbau der Papierfabrik in Eilenburg an (30 Millionen Euro), Beiersdorf errichtet in Leipzig ein neues Werk und ein Logistikzentrum (400 Millionen Euro), der Flughafen Leipzig/Halle soll erweitert werden (500 Millionen Euro), dort soll auch die Flugzeugmontage starten (80 Millionen Euro), der Modehändler Mytheresa ist mit einem Logistikzentrum in Schkeuditz dabei (70 Millionen Euro).
Internationale Konzerne richten Blick nach Ostdeutschland
Wird Ostdeutschland betrachtet, dann haben in jüngster Zeit enorme Investitionen stattgefunden oder sind zumindest angekündigt. So plant der US-Riese Intel in Magdeburg eine Chipfabrik für 17 Milliarden Euro. 3000 Arbeitsplätze soll das bringen. Gerüchten über ein Aus der Absicht erteilt Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Sven Schulze eine Absage: „Das wird nicht passieren.“ Noch pokert Intel um die Höhe des Zuschusses aus dem EU-Chipgesetz und begründet das mit deutlich gestiegenen Investitionskosten. „Ohne staatliche Förderung wird man in Europa jedenfalls kaum noch einen Ansiedlung dieser Art realisieren können“, befürchtet Schulze. Klar dürfte schon jetzt sein, dass der beabsichtige Baubeginn im ersten Halbjahr 2023 nicht mehr zu halten ist.
Damit nicht genug. Realisiert Intel alle Vorhaben, sollen nach und nach sechs weitere Werke in Magdeburg entstehen, die Gesamtinvestitionssumme stiege auf 80 Milliarden Euro. Das wäre dann „die größte Einzelinvestition der Geschichte der Bundesrepublik“, so Schulze.
Geld aus dem Brüsseler Topf möchte auch der Chiphersteller Infineon für das 5 Milliarden Euro schwere neue Werk in Dresden haben, das 1000 Jobs schaffen soll. Offenbar auf Eis legt dagegen der taiwanesische Halbleiterproduzent TSMC sein Vorhaben, in Dresden eine Fabrik hinzustellen. Konkurrent Globalfoundries hat für den Standort in der sächsischen Landeshauptstadt bis 2024 mehr als 1 Milliarde US-Dollar an Investitionen freigegeben. Allerdings verlagert das Unternehmen einen Teil der Fertigung nach Portugal. Das kostet 200 der 3400 Jobs.
EU-Chip-Gesetz
Die Europäische Union stellt bis 2030 über das Chip-Gesetz 43 Milliarden Euro für Halbleiter-Projekte bereit. Damit soll der Anteil Europas am weltweiten Chipmarkt auf 20 Prozent verdoppelt, die Abhängigkeit von Herstellern aus Asien und den USA verringert und die technologische Führungsrolle Europas gestärkt werden. Mikrochips sind für wichtige industrielle Wertschöpfungsketten von strategischer Bedeutung. 2020 wurden eine Billion Mikrochips rund um den Globus hergestellt.
Das estnische Unternehmen Skeleton Technologies expandiert in Sachsen und baut in Markranstädt für 200 Millionen Euro eine Fabrik für Superkondensatoren.
Einige weitere Beispiele: UPM, ein finnischer Konzern, investiert 750 Millionen Euro in eine Bioraffinerie in Leuna, die Ende des Jahres in Betrieb gehen soll. Tesla hat für 6 Milliarden Euro in Grünheide ein Autowerk hingesetzt und stellt weiter Mitarbeiter ein. Derzeit sind dort knapp 10 000 Menschen beschäftigt. Der chinesische Batteriehersteller Contemporary Amperes Technology Co. Ltd. (CATL) hat vor wenigen Wochen in Arnstadt die Serienproduktion von Lithium-Ionen-Zellen begonnen. Die Fabrik kostete 1,8 Milliarden Euro und ist für 2000 Arbeitsplätze ausgelegt.
Standortvorteile müssen gesichert sein
So weit, so gut. Der IHK-Chef legt aber den Finger in die Wunde, benennt Risiken. „Eine Stabilität in der Bezahlbarkeit der Energieversorgung muss über 2023 hinaus sichergestellt werden“, mahnt er. Zur Bekämpfung des Fachkräftemangels müsse die Zuwanderung für ausländische Fachkräfte „weiter vereinfacht werden“, fordert Kirpal. Auch die Verkehrsinfrastruktur sei entscheidend für die Ansiedlung weiterer Firmen, meint der Kammerpräsident mit Blick auf „den maroden Zustand vieler Verkehrsadern“ und bemängelt Einschränkungen im Wirtschaftsverkehr speziell in Leipzig. „So wie es gegenwärtig praktiziert wird, ist es kontraproduktiv für die Bestandsunternehmen und das Investitionsgeschehen.“
Das Bergbauunternehmen Mibrag hat die Genehmigung für den Windpark Breunsdorf beantragt. In dem 100- Millionen-Euro-Projekt südlich von Leipzig sollen 15 Mega-Anlagen auf Rekultivierungsflächen bei Neukieritzsch errichtet werden.
Die Mitteldeutsche Industrie stellt Weichen für eine grüne Zukunft
Die deutsche Wirtschaft hat ihre internen und externen Ausgaben für Innovationen im Jahr 2021 deutlich um 4,7 Prozent auf 178,6 Milliarden Euro gesteigert. Damit wurde der Rückgang aus 2020 wettgemacht. Zu diesem Ergebnis kommt das ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in seiner aktuellen Innovationserhebung 2022. Der Industriesektor weist dabei sehr hohe Innovationsausgaben auf und bestimmt so maßgeblich die gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Drei Beispiele aus der mitteldeutschen Industrie zeigen, an welchen neuen Verfahren sie arbeiten, warum Innovationen wichtig sind und wie sie ihren Weg in eine nachhaltige Zukunft weiter gestalten werden.
Feralpi
Sogar den Stahlproduzenten ist klar, dass ihr Produkt umweltfreundlicher werden muss. Die notwendige Infrastruktur etwa für grünen Wasserstoff lässt jedoch noch auf sich warten. Lesen Sie mehr
Merz Pharma
Unabhängiger von Lieferketten fossiler Energieträger werden – das ist ein Ziel der Produzenten pharmazeutischer Produkte. Nicht einfach für eine derart komplexe Fertigung. Lesen Sie mehr
Profiroll
Die (Elektro-)Mobilitätswende hat massive Auswirkungen auf die gesamte Zuliefererbranche der Autohersteller. Manche haben ihre hauseigene Entwicklung schon angepasst. Lesen Sie mehr
Neues Stahlwerk wird emissionsfrei
Uwe Reinecke bleibt Optimist. „Stahl ist ein dominierender Werkstoff, den wir für unsere Evolution weiter brauchen werden.“ Zwar steht diese Branche, die für 30 Prozent der CO2-Emissionen der Industrie verantwortlich ist, so unter Druck, dass manche gar ein heftiges Abschmelzen befürchten. Klar ist, der Stahl muss nachhaltiger, umweltfreundlicher werden. Die Elbe-Stahlwerke Feralpi GmbH in Riesa, deren Chef Reinecke ist, befindet sich da schon auf einem klimafreundlichen Kurs.
Der Akzent ist überflüssig
Zum einen handelt es sich bei der Fabrik, die vor 30 Jahren an den italienischen Stahlriesen Feralpi (knapp 2 Milliarden Euro Jahresumsatz) privatisiert wurde, um ein Elektrostahlwerk. Anders als die Konkurrenten mit Hochofen „sind wir schon jetzt relativ nachhaltig“, sagt Reinecke. Pro Tonne Stahl werden derzeit 52 Kilogramm CO2 ausgestoßen, bei gewalzten Produkten sind es 80 Kilogramm. Stahl aus einem Hochofen dagegen kommt auf 1,75 Tonnen CO2.
Entweder, Deutschland schaffe erfolgreich die Transformation der Stahlindustrie oder sie verschwinde langsam, aber sicher, heißt es bei der ThyssenKrupp Steel Europe in Duisburg. Soll die Fertigung klimaneutral werden, muss der graue Stahl also schnell grün werden. Schließlich soll die Branche bis 2030 ihre Emissionen um 30 Prozent reduzieren. Wenigstens 10 Millionen der rund 30 Millionen Tonnen an Jahresproduktion sollen umweltfreundlich werden. Raus aus Kohle und Gas, lautet das Motto.
„Stahl ist ein dominierender Werkstoff, den wir für unsere Evolution weiter brauchen werden.“
Uwe Reinecke, Elbe-Stahlwerke Feralpi GmbH
Infrastruktur für Wasserstoff fehlt
„Wir können das Gas ersetzen“, meint Reinecke, zumindest für den sächsischen Standort. Um allerdings die fossilen Energieträger durch Wasserstoff zu ersetzen, ist noch eine ganze Menge zu tun. „Dazu müssen wir erst die Infrastruktur schaffen“, betont der gebürtige Niedersachse. Wichtig sei in diesem Zusammenhang, die Industrieregion Meißen an eine entsprechende Pipeline anzuschließen, die jedoch erst 2027 fertig sein soll. Für grünen Wasserstoff wird ein erhebliches Mehr an erneuerbaren Energien benötigt. Doch es dauere im Schnitt sieben Jahre, bis ein Windpark ans Netz gehe, kritisiert der Werkschef. „Der Ausbau muss einfacher und schneller gehen“, fordert er. Ohne Stahl könnten im Übrigen keine Windräder hergestellt werden.
Ein weiteres Problem: Derzeit müssten 1,1 Einheiten Strom eingesetzt werden, um 1,0 Einheiten Wasserstoff zu erzeugen. Da bleibt die Hoffnung auf technologischen Fortschritt. Zudem müsse die Politik auch auf europäischer Ebene dafür sorgen, dass der so hergestellte grüne Stahl wettbewerbsfähig bleibe. „Dann dürfen wir in der EU keinen grauen Stahl mehr einführen“, verlangt Reinecke. „Andernfalls schneiden wir unsere Lebensadern ab.“
Neues Stahlwerk mit Spitzentechnologie
Unabhängig davon sehen sich die Riesaer auf einem guten Weg. Für 180 Millionen Euro ziehen sie ein neues Stahlwerk hoch, das weitgehend emissionsfrei arbeiten soll. Also für Gas, aber eben auch Wasserstoff geeignet ist. Zugleich wird damit die Jahresproduktion von knapp 1 Million Tonnen auf 1,3 Millionen Tonnen erweitert. Zu den derzeit 800 Arbeitsplätzen sollen 100 weitere dazukommen.
Das Werk wird mit Spitzentechnologie ausgestattet. „Die Anlage setzt neue Maßstäbe bei Innovation und Nachhaltigkeit“, sagt Reinecke. Mit ihr wird das Unternehmen über die weltweit erste Spooleran-lage für Acht-Tonne-Coils und ein Induktionssystem zur Erwärmung von Stahlknüppeln verfügen, mit dem direkte CO2 -Emissionen vermieden werden. Damit kann Walzdraht zu einem sauber gespulten Ring verarbeitet werden. Die Drahtbündel (Coils) können größer und schwerer werden. „Das macht die Produktion effizienter.“
Das Elbe-Stahlwerk stellt seine Produkte zu 100 Prozent aus Schrott her, ist also tief verankert in der Kreislaufwirtschaft. Die Kunden kommen komplett aus der Bauwirtschaft. Sorgen bereiten dem Werkleiter die nachlassende Baukonjunktur sowie die stark gestiegenen Energiepreise. „Unsere Margen schrumpfen.“ Aber die mittelfristige Zuversicht bleibt angesichts der Investitionen. mi
Feralpi ist einer der führenden Stahlhersteller Europas. Derzeit entsteht auf dem Werksgelände eine neue Fabrik. Sie wird die erste in Deutschland sein, die mit einem K-Spooler ausgestattet ist, und als erstes Walzwerk der Welt Stabstahl-Coils mit einem Gewicht von acht Tonnen produzieren.
Mittel zur Glättung von Falten kommt aus Dessau-Roßlau
Die Herstellung von pharmazeutischen Produkten ist eine hohe Kunst. Jeder einzelne Vorgang hat seine Besonderheiten. Angefangen bei der Wirkstoffherstellung. Dort werden die einzelnen biotechnologischen Maßnahmen mit präzisen Geräten durchgeführt, die exklusiv für die Merz Pharma GmbH & Co.KGaA in Dessau entwickelt wurden. In 200 Fertigungsschritten wird über einen Zeitraum von vier Wochen das reine, komplexfreie Botulinumtoxin fabriziert. Nur das Zusammenspiel aller Produktions- und Prüfschritte führt letztlich zu einem qualitativ hochwertigen Ergebnis. Anders formuliert: Die Pharma-Produktion ist eine Herausforderung und setzt ständige Innovationen voraus.
Fachliche Kompetenz
Botulinum ist ein Mittel zur Faltenglättung. Hauptkonkurrent ist das Botox. Experten sagen der ästhetischen Medizin jährliche Wachstumsraten von gut zehn Prozent voraus. Der Weltmarkt hat ein Volumen von rund 20 Milliarden US-Dollar.
Der familiengeführte Frankfurter Pharma-Konzern Merz betreibt seit 2002 in Dessau-Roßlau ein eigenes Werk. Dort werden mehrere Produkte hergestellt, neben Botulinum auch neurologische wie das verschreibungspflichtige Xeomin, das bei Bewegungsstörungen eingesetzt wird. „Wegen der fachlichen Kompetenz vor Ort und auch wegen der attraktiven Erweiterungsoptionen ist die Ansiedlung im Biopharmapark Dessau-Roßlau eine gute Entscheidung gewesen“, sagt Standortleiter Björn Niemczak.
„Wegen der fachlichen Kompetenz vor Ort und auch wegen der attraktiven Erweiterungsoptionen ist die Ansiedlung im Biopharmapark Dessau-Roßlau eine gute Entscheidung gewesen.“
Björn Niemczak, Standortleiter
Wirtschaft und Wissenschaft als Partner
Der Park ist einer von zwölf Zukunftsorten in Sachsen-Anhalt und liegt keine 100 Kilometer von den Metropolen Leipzig und Berlin entfernt. Die Fabrik auf dem 136 Hektar großen Areal ist nach Einschätzung von Merz ein optimaler Raum für eine enge Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft, für innovative Ideen und Investitionen.
Merz profitiert dabei von der Nähe zu den Wissenschaftsstandorten. Neben Leipzig und Berlin zählen auch Magdeburg und Halle dazu. Aus diesem Einzugsgebiet kommen Ingenieure, Chemiker, Biologen, Apotheker und Laboranten. Mit zwei Mitarbeitern gestartet, sorgen inzwischen mehr als 200 Beschäftigte mit einem Altersdurchschnitt von 37 Jahren für 40 Prozent des gesamten Konzernumsatzes, der bei rund 1 Milliarde Euro liegt. „Die Mischung aus Erfahrung, Dynamik, Leidenschaft und entsprechende Identifikation mit dem Produkt und unserem Standort haben dazu geführt, dass die Entwicklung von Merz Dessau eine echte Erfolgsgeschichte ist“, kommentiert Niemczak. Ihn begeistere die pragmatische und zielorientierte Arbeitsweise.
Strategie zur Nachhaltigkeit
Noch sei seine Fabrik nicht so stark vom Fachkräftemangel betroffen. Aber vorbeugend solle unter anderem an der Etablierung einer starken und bekannten Arbeitgebermarke in der Region gearbeitet werden. Zudem werde in Sachen Nachhaltigkeit an einer Strategie zur Nutzung von grünem Wasserstoff gearbeitet. So soll das Werk näher an eine klimaneutrale Fertigung gebracht werden, was zugleich unabhängiger von Lieferketten fossiler Energieträger mache.
Moderner Entwicklungsstandort wird ausgebaut
2022 wurde mit der Inbetriebnahme einer neuen Fertigungslinie der Output verdreifacht. Für dieses Jahr ist ein Neubau geplant, der unter anderem ein Hochregallager enthalten soll. Als wichtiges Ziel gilt, das Werk weiter zu einem modernen Entwicklungsstandort auszubauen. Dazu soll unter anderem die Optimierung der vorhandenen Technologien in Zusammenhang mit Industrie 4.0 beitragen. Mit der Errichtung einer neuen, smarten und digitalen Anlage, mit dreifacher Produktionskapazität zur bestehenden, soll die künftige Marktversorgung sichergestellt werden. Der Interaktion von Mensch-Maschine gehöre die Zukunft, damit die Fertigung effizienter und hochwertiger erfolgen könne. mi
Merz Pharma entwickelt ästhetische und neurologische Produkte in einer eigenen Forschungs- und Entwicklungsabteilung. Seinen Standort in Dessau-Roßlau hat das Pharmaunternehmen ausgebaut und dort vor kurzem eine neue Produktionslinie eingeweiht.
Innovationen sind die Basis für gutes Wirtschaften bei Profiroll
Weltweit agierender Werkzeugmaschinen-Hersteller aus Bad Düben hat zwei neue Fertigungsmethoden für Elektromotoren samt der dazu benötigten Werkzeuge entwickelt
Not nimmt Hoffnung, beschert Sorgen – macht aber mitunter auch erfinderisch. Wie beispielsweise bei der Bad Dübener Firma Profiroll Technologies. Wegen der von der Bundesregierung geförderten Elektromobilität weg vom Verbrenner „brach nach 2018 die Hälfte unseres Maschinenbau-Umsatzes weg, der bis dahin wiederum die Hälfte unserer Gesamterlöse ausmachte“, ärgert sich Jens Wunderlich (56). Der gebürtige Leipziger, der seit 1994 bei Profiroll arbeitet und vor fünf Jahren einen der zwei Geschäftsführerposten übernommen hat, spricht von einem Schock für das Unternehmen. Zwar würden mit Werkzeugen die anderen 50 Prozent des Geschäfts erwirtschaftet, aber „ein mächtiger Schlag ins Kontor war es auf jeden Fall“, betont der Diplom-Ingenieur für Maschinenbau.
Neue Methode zur Herstellung von Rotorwellen im E-Getriebe
Doch die 380 Mitarbeiter des weltweit agierenden Werkzeugmaschinen-Herstellers im Bereich Gewinde- und Profilwalzen nördlich von Leipzig steckten ihre Köpfe nicht in den Sand, setzten vielmehr auf Innovationen. „Wir entwickelten das sogenannte Durchschubwalzen für Hohlwellen.“ Die dadurch entstehenden Rotorwellen, „sind ein wichtiges Bauteil für Elektromotoren“, sagt Michael Hirsch.
Der 43-Jährige ist Geschäftsbereichsleiter Neue Technologien bei Profiroll und erklärt, worum es hierbei geht: Diesel- oder Ottomotoren arbeiten in der Regel bei einer Drehzahl zwischen 2000 bis 5000 Umdrehungen pro Minute. Um entsprechend auf Tempo zu kommen, „ist die Gangschaltung also unverzichtbar. In diesen Schaltgetrieben werden Zahnräder mittels Pass- beziehungsweise Steckverzahnung auf Getriebewellen gefügt.“ Bei herkömmlichen Verbrennungsaggregaten seien an die 20 Verzahnungen erforderlich, die auf den Bad Dübener Walzanlagen hergestellt werden. E-Motoren arbeiten in einem viel größeren Drehzahlbereich von 0 bis zu 15 000 Umdrehungen und benötigen daher höchstens ein „zweistufiges Getriebe mit zwei bis vier Steckverzahnungen“.
Profiroll ist ein weltweit agierender Werkzeugmaschinenhersteller im Bereich Gewinde- und Profilwalzen. An ihrem Standort in Bad Düben sorgen die 340 Mitarbeiter dafür, dass die Umformtechnik weiter attraktiv, umweltfreundlich und effizient in Bereichen wie dem Automobilbau oder der Windkraft eingesetzt wird.
Um die neuen E-Getriebe möglichst leicht zu halten, werden Hohlkörper verwendet. „Diese“, so Wunderlich, „können aber nicht mit unseren bisherigen Walzverfahren hergestellt werden. Zu hoher Druck auf das Rohrstück würde es verformen.“ Die Profiroll-Experten nutzten daher erstmals für Elektro-Getriebe die Durchschubtechnologie. Dabei wird die Verzahnung anfänglich nur auf eine sehr geringe Breite angewalzt und dann im Laufe des Prozesses durch den Walzspalt der rotierenden Werkzeuge geschoben. „Die sehr schnelle und spanlose Fertigungsmethode hat die Fachwelt überzeugt“, freut sich Hirsch, der in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) geboren wurde und dort Maschinenbau studiert hatte, später seinen Doktor-Titel erwarb.
„Große deutsche Autohersteller nutzen inzwischen unsere neuen Maschinen für die Herstellung der Rotorwellen“, freut sich Wunderlich. „Etwa ein Jahr lang haben wir für die Neuentwicklung gebraucht. Die dazu nötigen neuen Werkzeuge kreierten wir ebenfalls.“ Der Markt, so Hirsch, „hat unser Produkt und unser Verfahren gut angenommen“. Sein Team entwickelt zudem gemeinsam mit den Kunden „die komplette konstruktive Verzahnungsauslegung der Rotorwelle als ingenieurtechnische Dienstleistungen. Wir sind also auch Systemanbieter.“ Kein Wunder, dass der Profiroll-Exportanteil in der Sparte Maschinen bei 70 Prozent liegt. „Sie gehen faktisch in die ganze Welt“, sagt Wunderlich.
Glatte Schnecken verbessern Elektroauto-Lenken
„All das hat uns gut geholfen, den ausgefallenen Umsatz zu kompensieren.“ Dazu habe nicht zuletzt eine weitere Technologieneuheit beigetragen, die in Profiroll-Produkten eingesetzt wird. „Hierbei werden Schneckenverzahnungen, die für die Lenkradsteuerung erforderlich sind, durch einen Kaltwalzprozess auf Hochglanz’ gebracht“, scherzt der Chef. Wenngleich er damit im übertragenen Sinne nicht unrecht hat. Die zuvor gefrästen Schneckengewinde werden so „kosteneffizient, dank moderner NC-Technik“ geglättet, beschreibt Hirsch den Vorgang.
Durch Kaltwalzen würden Gratrückstände, Unebenheiten und sogar noch Profilkorrekturen an den Metallschnecken vorgenommen. „Wir versprechen hier höchste Qualität“, fügt der Vater zweier Kinder hinzu. Dies garantiere, die Geräusche und gefühlten Vibrationen beim Elektroauto-Lenken zu minimieren. Früher sei Hydraulik eingesetzt worden für die Servolenkung, um den Fahrer zu entlasten. „Nun helfen die Schnecken mit ihren spiegelblanken Oberflächen, Fahrerassistenzsysteme und sogar das autonome Fahren zu ermöglichen“, sagt Wunderlich und strahlt dabei.
Neue Forschungskooperation beim Thema Wasserstoff
Gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU) in Chemnitz ist das Maschinenbauunternehmen Profiroll aus Bad Düben angetreten, neue Entwicklungen bei der Nutzung von Wasserstoff anzuschieben. „Als eine der möglichen Zukunftsenergien ist das wichtiger denn je“, erklärt der Geschäftsführer des Unternehmens, Jens Wunderlich. Im Konkreten gehe es bei der Forschungskooperation ums Profilieren von Biopolar-Platten für die Wasserstoff-Elektrolyse (Wasserstoff-Herstellung) und für das Betreiben von Brennstoffzellen (Wasserstoff-Nutzung). Weitere Details lässt sich der Firmenchef jedoch nicht entlocken.
„Wir sind also auch Systemanbieter.“
Jens Wunderlich, Geschäftsführer von Profiroll
Leitsystem für interne Prozesse
Genauso freut ihn, dass innerhalb des Unternehmens die Abläufe immer effizienter laufen als noch vor Kurzem. „Dr. Hirsch hat für diese innerbetrieblichen Abläufe den Hut auf. Und das Ergebnis kann sich sehen lassen.“ So sei die Digitalisierung vorangekommen. „Mit einer elektronischen Verknüpfung der einzelnen Arbeitsschritte überschauen wir nun alles viel genauer: die Verfügbarkeit und Nutzung der Maschinen, um etwa Ausfallzeiten zu verringern; oder das Umrüsten der Maschinen effizienter zu machen; oder die Qualität der Produktion zu überwachen“, so Wunderlich.
Nun sei ein Prozessleitsystem am Wirken, das die Informationen von Prozess-, Auftrags- und Maschinendaten zusammenführt. Die Mitarbeiter verfügen über einen Monitor, mit dem sie ebenfalls die aktuellen Geschehnisse beobachten und im Zweifelsfall eingreifen können. „Das Ganze ist auf der einen Seite mit dem Auftragseingang, auf der anderen mit der Ergebnisanalyse einschließlich Qualitätskontrolle gekoppelt“, berichtet Hirsch. Die Programmierung habe Profiroll selbst vorgenommen, „passgerecht zugeschnitten auf unsere inneren Prozesse“. Seinem Chef nennt er eine Steigerung der Arbeitsproduktivität im Betrieb von etwa zehn Prozent. „Und dabei“, so Wunderlich, „haben wir ja hier nicht bei Null angefangen.“
Zugleich setzen die Profiroller auf Kostenersparnis. Etwa bei der Energie. „Weniger Verbrauch etwa durch Modernisierung der Beleuchtung in den Werkshallen ist angesagt“, so der Geschäftsführer. In zweien ersetze bereits Erd- und Prozesswärme das bisherige Heizen mit Gas. Schließlich verweist er auf die Photovoltaikanlage auf mehreren Dächern des Geländes. „Sie läuft seit Mitte vorigen Jahres“, erzählt Hirsch. „Seitdem haben wir 218 Tonnen CO2 eingespart und 550 Megawattstunden Strom erzeugt.“ Das sei eine riesige Menge, „damit können etwa 140 Vier-Personen-Haushalte ein Jahr lang mit Strom versorgt werden“. U.L.
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Fotos: BMW, Sebastian Kahnert/dpa, Mario Jahn, : Picasa, Feralpi, Thomas Schlorke, Merz GmbH | Video: AdobeStock/Blue Planet Studio
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