„Ohne Handwerk funktioniert nichts“
Der Tag des Handwerks zeigt in Leipzig Vielfalt und Chancen für Jugendliche in unzähligen Berufen
Von Jochen Reitstätter
Nach dem Einbruch an Ausbildungsstellen Anfang der 2000er- Jahre und den pandemiebedingten Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt erholen sich die Ausbildungszahlen stetig. Das Vor-Corona-Niveau an offenen Stellen ist dieses Jahr bereits um über 100 Stellen im Kammerbezirk Leipzig übertroffen und die Schulabgänger profitieren bei den Handwerksberufen von Chancen wie lange nicht.
Wer am Tag des Handwerks in Leipzig am 21. September 2024 über den Marktplatz schlenderte, sah nicht nur unzählige Stände unterschiedlichster Betriebe und Branchen, man hörte es auch sägen, hobeln, bohren, klopfen und hämmern, allenthalben wurde gearbeitet und anschaulich präsentiert, was in den jeweiligen Berufen für handwerkliche Tätigkeiten dahinterstehen.
„Das Ziel beim Tag des Handwerks war auch dieses Jahr wieder, die handwerklichen Berufe in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken und aufzuzeigen, wie vielfältig, modern, aber auch traditionell die dargestellten Berufe sind“, erklärt Matthias Forßbohm, Präsident der Handwerkskammer zu Leipzig.
„Für junge Menschen ist es ein lohnendes Ziel, ins Handwerk zu gehen, und auch in handwerklichen Berufen gibt es viele Möglichkeiten der Weiterentwicklung, Spezialisierung und der Karriere“, so Forßbohm.
In Sachsen gibt es 54.872 eingetragene Handwerksbetriebe (Stand: 30.06.2024)
Bis Ende Juli 2024 wurden im Handwerk 4260 Ausbildungsverträge für das Ausbildungsjahres 2024/2025 geschlossen, 355 mehr als 2023.
Mehr als 280.000 Menschen (inklusive Betriebsinhaber) arbeiten im sächsischen Handwerk (Stand: 31.12.2023)
Dass das Handwerk im Aufschwung ist, zeigen auch die Besucherzahlen, welche die Handwerkskammer 2024 auf mehr als 10.000 schätzt. Und wer noch zu klein ist, um schon eine Ausbildung anzufangen, konnte ebenfalls einen spannenden Eindruck kriegen, was im Kleinen alles gezeigt wurde.
„Ich freue mich natürlich, dass wir mit unserem antiquierten Bohrer und dem riesigen Holzbalken auch die Aufmerksamkeit schon der kleinsten Besucher auf uns ziehen können“, sagt Johannes Thiele, ehemals Handwerker und jetzt selbstständig im Vertrieb tätig. Der leidenschaftliche Sammler von älteren Handwerksutensilien wie zum Beispiel über 600 Hobel will vor allem interessierten Besucherinnen und Besuchern einmal das Handwerk in seinem ehemaligen Arbeitsbereich präsentieren.
Die Tradition in seinem Handwerksgebiet will der ehemalige Zimmerer fortführen. Den großen Dachbalken hat Thiele mitgebracht, um einmal vorzuführen, wie man da ein Loch reinbekommt, ohne Akku, ohne Strom, dass man mal sieht, wie das früher ging. „Heute geht alles viel einfacher“, weiß der Handwerker, „keiner würde mehr so einen Handbohrer in die Hand nehmen, es geht alles mit Maschinen, aber die Jugend soll hier sehen, dass es früher auch anders ging.“
„Wichtig ist, bei der heutigen Jugend das Interesse erst mal zu wecken, und das geht nur, indem du ihnen was zeigst, zum Beispiel Hobeln oder Loch bohren, ohne Handy oder Playstation, damit wollen wir das Interesse anschieben, und vielleicht bewerben sich im Nachgang auch welche.“
Stimmen vom Tag des Handwerks 2024 in Leipzig
(für mehr Stimmen einfach nach links oder rechts wischen)
Nachwuchsmangel ist größtes Problem des Handwerks
Das Handwerk leidet wie viele Bereiche der Wirtschaft an einem teils eklatanten Nachwuchsmangel wie auch Mangel an Arbeitskräften. Dabei konkurriert es vor allem auch bei Abiturienten mit einer Ausbildung an einer Universität, die für viele noch als der aussichtsreichere Berufsweg angesehen wird. Dabei übersehen viele, dass es auch mit einer akademischen Ausbildung keineswegs in allen Bereichen einfach ist, im gewünschten Bereich arbeiten zu können.
„Der Bedarf an Azubis und ausgebildeten Fachkräften ist in allen Bereichen hoch, mit gewissen Unterschieden in den verschiedenen Berufen. Gerade im Kfz-Bereich und bei den Elektronikern könnten noch viel mehr Bewerber einen Ausbildungsplatz finden“, weiß Kammerpräsident Forßbohm aus der Statistik.
Dabei sieht er das Handwerk keineswegs als Konkurrenz zu anderen Karrierewegen. „Wir wollen, dass Abiturienten frei entscheiden, was sie einmal machen wollen, aber eben nicht bestimmt durch gesellschaftliche Vorgaben, dass der eine Weg weniger hochwertig sei als ein anderer.“
Hier sieht Forßbohm noch viel zu tun, zum Beispiel durch eine durchgängige Berufsorientierung auch an Gymnasien, welche das Handwerk und die duale Ausbildung als gleichwertige Lebensperspektiven darstellt und die Möglichkeiten aufzeigt, auch nach einer Lehre noch „aufzusatteln“, den Meister zu machen oder zu studieren.
Forßbohm: „Wir können auf keinen Schulabgänger verzichten“
Trotz viel händischer Arbeit und der traditionellen Verbundenheit vieler Handwerksberufe gibt es auch in vielen Berufen des Handwerks einen Trend zur Digitalisierung und Automatisierung. Die Ansprüche an Schulabgänger steigen auch in diesen Bereichen, gleichwohl ist das Abitur keinesfalls zwangsläufig Voraussetzung für viele Berufe.
„Der Weg für Hauptschüler und Abgänger von Oberschulen mag mitunter etwas länger dauern, aber es gibt vielfältige Chancen, seinen Wunschberuf erlernen zu können, zum Beispiel durch eine anfängliche Einstiegsqualifizierung“, so der Handwerkskammerpräsident.
Ebenfalls können vorher Praktika absolviert werden oder der Start mit einer zweijährigen Ausbildung als Fachkraft erleichtert werden. Der Weg zum Gesellenabschluss ist dann für viele leichter machbar, wenn erst einmal „der Knoten geplatzt“ sei, wie Forßbohm unterstreicht. Auch die Arbeitsagenturen leisten hier beratende Unterstützung und können individuell Karrieremöglichkeiten aufzeigen.
Am Image von Handwerksberufen arbeiten
Viele handwerkliche Berufe stehen akademischen Berufen in Bezug auf Verdienstmöglichkeiten und Entwicklungschancen in nichts mehr nach. Eine der wichtigen Aufgaben wird es daher sein, dem Handwerk als Ganzes ein neues Image zu geben. In vielen Sparten ist dies schon gelungen. So sind die Sommeliers im Bäckereihandwerk oder bei den Weinbauern schon hoch angesehene Fachleute. Auch der Meistertitel gilt gemeinhin als Zeichen von hoher Qualifizierung. Zwischenstufen wie der Fachwirt oder die Weiterbildung zur Erlangung eines Ausbildereignungsscheins sind zudem Beispiele beruflicher Karriereschritte.
Fotos: Jochen Reitstätter
Der Tag des Handwerks
Nach Rückmeldungen der ausstellenden Betriebe beim Tag des Handwerks war die Resonanz 2024 vielversprechend. Auch die Handwerkskammer zu Leipzig bestätigte dies und schätzt die Besucherzahl auf mehr als 10.000.
Betriebe aus 15 Innungen zeigten auf dem Marktplatz im Zentrum Leipzigs anschaulich und durch emsige Arbeiten vieler Auszubildenden, welch spannende und facettenreiche Tätigkeiten das Handwerk zu bieten hat. Wer sich für einen Beruf interessierte, konnte an Ort und Stelle mit den Vertretern der Betriebe sprechen, Kontakte knüpfen und Gespräche vereinbaren.
Die Chancen für die Ausbildungsplatzsuchenden stehen gut wie nie, so auch die Aussage der HWK zu Leipzig. Über 600 Betriebe im Handwerksbezirk bieten Karrierechancen in jedem Bereich.
Mit einer Steigerung von 7 Prozent zum vergangenen Jahr konnten mit Stand Ende September 2024 die Abschlüsse bei den Lehrverträgen abermals erhöht werden – die Hitliste führen hier die Kraftfahrzeugmechatroniker mit 315 Ausbildungsverträgen an, darauf folgen die Elektroniker mit 141 und Anlagenmechaniker mit 103 begonnenen Ausbildungen.
Für das Ausbildungsjahr 2025/26 sind bereits jetzt die ersten Ausbildungsplätze im Angebot, darunter für Elektroniker, Kraftfahrzeugmechaniker, Metallbauer und Anlagenmechaniker SHK.
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