20 Jahre BMW-Werk in Leipzig
Interview mit Werksleiterin Petra Peterhänsel über Fachkräftemangel und die Zukunft von Verbrennermotoren
20 Jahre BMW-Werk in Leipzig
Interview mit Werksleiterin Petra Peterhänsel über Fachkräftemangel und die Zukunft von Verbrennermotoren
Es wäre vermessen zu sagen, „überall wird nur noch elektrisch gefahren“. Den Verbrenner werde es weiter geben, sagt im Interview mit der LVZ-Wirtschaftszeitung Petra Peterhänsel, Leiterin des BMW-Werks Leipzig.
Am 1. März 2005 startete im BMW-Werk die Produktion. Spüren Sie schon Vorfreude auf dieses Jubiläum im kommenden Jahr?
Definitiv. Allerdings haben wir jeden Tag, wenn wir hier ins Werk kommen, große Freude zu sehen, wie die Autos von den Bändern rollen. Aber klar, das wird schon ein besonderer Tag. Wenn alles gut geht, werden wir im nächsten Jahr die Marke von vier Millionen Autos aus Leipzig knacken.
BMW, so heißt es, hat hier bis jetzt mehr als vier Milliarden Euro investiert …
... da muss ich Sie korrigieren, es sind 5 Milliarden Euro. Allein seit 2020 waren es über 1,6 Milliarden Euro in die Volumenerweiterung durch den Mini-Countryman – dadurch haben wir die jährliche Produktionskapazität um 100.000 auf über 35.0000 Fahrzeuge erhöht – und den Ausbau der E-Mobilität.
Woran liegt diese Aufwärtsbewegung?
Unser Werk hat immer Pioniergeist gezeigt, ist flexibel. Wir haben qualifizierte Mitarbeiter, auch die erforderlichen Technologien. Wir produzieren vier Modelle, drei Antriebe, zwei Marken – alles auf einer Linie. Wir sind die einzige Fabrik von BMW, die zwei Marken auf einer Linie herstellt. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal.
Zum Start waren es 2600 direkt Beschäftigte, heute sind es um die 7000, soeben wurde eine dritte Schicht in der Montage eingeführt. Ist personell das Ende der Fahnenstange erreicht?
Es arbeiten sogar deutlich mehr Menschen in unserem Werk. Am Standort sind es, etwa durch Dienstleister und Zulieferer, insgesamt über 10.000 Beschäftigte. Wir haben jetzt einen Stand erreicht, mit dem wir in eine gewisse Stabilität gehen.
Macht sich der Fachkräftemangel bemerkbar?
Wir haben nach wie vor eine gute Nachfrage nach Ausbildungsplätzen und bilden nun pro Jahr 65 Lehrlinge aus, vor Kurzem waren es noch 45. Die Bewerberzahlen geben das her. Das gilt auch für den Ausbildungsbeginn im nächsten Jahr. Ich bin zuversichtlich, dass wir unseren Bedarf abdecken können.
Zurück zum Fachkräftemangel.
Erfreulicherweise sind wir nicht nur der größte industrielle Arbeitgeber in der Region, sondern dazu noch sehr attraktiv. Aber auch wir merken, dass wir die benötigten Fachkräfte nicht alle aus der Nähe rekrutieren konnten. Wir haben verstärkt in Südeuropa und auch unter Geflüchteten gesucht und sind sehr international aufgestellt. Wir haben heute Mitarbeitende aus mehr als 90 Ländern, vor drei Jahren waren es noch die Hälfte davon.
Sie sind auf Zuwanderung angewiesen?
Ganz klar. Allein aus demografischen Gründen brauchen wir ausländische Talente. Zudem: Vielfalt belebt ein Unternehmen. Auch davon leben wir.
Wie läuft die Integration?
Sie ist kein Selbstläufer. Man muss was dafür tun. Wir führen interkulturelle Trainings durch, um unsere Kultur zu vermitteln. Wir bieten auch Deutschkurse an. Man muss permanent dran bleiben. In den vergangenen 24 Monaten haben wir gut 2000 Mitarbeitende eingestellt. Das Miteinander muss gelebt werden.
Zur Person
Petra Peterhänsel (58) ist seit Januar 2022 Leiterin des BMW-Werks in Leipzig.
Die gebürtige Eisenacherin arbeitete nach der Berufsausbildung als Qualitätssicherungs- Spezialistin im Automobilwerk Eisenach (Wartburg), später übernahm sie mehrere leitende Aufgaben bei der Opel Eisenach GmbH.
Von 1998 bis 2007 war sie für Opel und den Mutterkonzern General Motors in Polen, Russland, Belgien und Bochum tätig.
Peterhänsel, die an der Hamburger Fern-Hochschule Europäische Betriebswirtschaft studierte und sowohl den Bachelor als auch das Diplom erwarb, wechselte 2010 als Heavy Truck Spartenleiterin der Lkw-Montage zu MAN in München.
Zwei Jahre später schloss sie sich BMW an und wurde in Dingolfing und China eingesetzt.
Das Leipziger BMW-Werk aus der Vogelperspektive.
Das Leipziger BMW-Werk aus der Vogelperspektive.
MINI Countryman Produktion im Leipziger BMW-Werk.
Die Autokonjunktur lahmt, so mancher Konkurrent kriselt. Warum läuft es bei BMW besser?
Das liegt an unserer Flexibilität und Komplexitätsbeherrschung. Verschiedene Modelle auf einer Linie zu bauen bietet die Möglichkeit, rasch auf Kundenwünsche zu reagieren. Und offenkundig haben wir Autos, die dem Kundengeschmack entsprechen.
Die E-Mobilität kommt auch nicht so richtig in Fahrt.
Da herrscht eine gewisse Skepsis. Es hapert unter anderem noch an der erforderlichen Ladeinfrastruktur. Aber: Das Elektrofahrzeugsegment ist bei BMW das am stärksten wachsende. Weltweit sind wir hier die Nummer drei. Im ersten Halbjahr haben wir den Absatz im Vergleich zum Vorjahr konzernweit um 25 Prozent gesteigert.
Ist die automobile Zukunft elektrisch?
Die rein batteriegetriebene E-Mobilität wird nicht die einzige sein. Mit Blick auf die CO₂-Reduzierung muss es noch andere Möglichkeiten geben.
Welche haben Sie im Auge?
BMW kooperiert mit Toyota für ein in Serie produziertes Wasserstoff- Brennstoffzellen-Elektrofahrzeug. Das wird schon 2028 auf den Markt kommen. Das ist ein richtiger und wichtiger Schritt. Ich denke auch etwa an E-Fuels. Mit ihnen könnten Bestands-Fahrzeuge relativ schnell den CO₂-Ausstoß reduzieren.
Der Verbrenner steht vor dem Aus?
Wir sind ein weltweit agierendes Unternehmen, haben in 30 Ländern Produktionsstandorte, liefern in 140 Ländern aus. Da wäre es vermessen zu sagen, überall wird nur noch elektrisch gefahren. Es wird weiter Verbrenner geben.
Wie sieht es in Deutschland aus?
Auch, solange die Kunden den Kaufwunsch haben und der Gesetzgeber es zulässt.
Sie setzen im Werk in der Lackiererei und den innerbetrieblichen Transportfahrzeugen auf Wasserstoff und wollen an das Netz angeschlossen werden. Wasserstoff ist jedoch teuer.
Wasserstoff ist eine Technologie, um von fossilen Brennstoffen wegzukommen. Wir haben mit unseren mehr als 130 Flurförderfahrzeugen sehr gute Erfahrungen gemacht, haben für sie fünf Wasserstofftankstellen in Betrieb. Unser Ziel ist, im nächsten Jahr an das Wasserstoffnetz angeschlossen zu werden. Dann können wir die Dekarbonisierung des Werks weiter vorantreiben.
Wie hat sich die Autoproduktion durch Digitalisierung und Künstliche Intelligenz verändert?
Das sind Bestandteile unserer i-Factory. Sie ist in allen Werken unsere Produktionsstrategie in Richtung Effizienz, Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Bei der Künstlichen Intelligenz sind wir dabei, sie für unsere Fertigung zu nutzen, zunächst bei einfachen und ermüdenden Tätigkeiten. Wir setzen sie etwa ein im Karosseriebau bei der automatischen Oberflächeninspektion und -behandlung.
Menschen werden trotzdem weiter benötigt?
Natürlich. Ein Auto wird sich nie digital zusammenbauen lassen. Dafür ist das Produkt zu komplex. Es wird weiter viele Bauteile geben, die beim Einbau menschliche Hände benötigen.
Welche Rolle spielt Leipzig im Produktionsnetzwerk?
Ungefähr jeder zehnte BMW kommt hier aus Leipzig. Jedes Werk hat bestimmte Themen, die für alle bearbeitet werden. Diese Zusammenarbeit ist eine unserer Stärken. Wir waren zum Beispiel Pilot bei der Nutzung von 5-G-Netzen. Dazu waren wir mit dem BMW i3 2013 die Geburtsstätte der E-Mobilität bei BMW. Darauf sind wir heute noch stolz.
Was kommt noch in Leipzig?
Wir haben dieses Jahr eine große Modelloffensive: Der vollelektrische Mini-Countryman, der neue 1er, Ende des Jahres das neue BMW 2er Gran Coupé. Wir wollen in den nächsten Jahren auch die Neue Klasse in Leipzig integrieren, die sich durch eine fundamental neue rein elektrische Architektur auszeichnet.
Sie sind die einzige Frau als Werkleiterin in der Autobranche in Deutschland. Was bedeutet das für Sie?
Ich bin schon stolz darauf, würde mir aber wünschen, dass es bald mehr Frauen in dieser Funktion geben wird. Es gibt mit Sicherheit viele, die das können. Sie sind beruflich viel herumgekommen.
Wie gefällt es Ihnen in Leipzig?
Sehr gut. Ich bin seit vorigem Jahr auch Leipzigerin. Tolle Gegend, tolle Menschen. Es macht Spaß, hier zu leben.
Fotos: BMW Group, André Kempner
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MINI Countryman Produktion im Leipziger BMW-Werk.
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