Wohnen im Zirkuswagen
Siegfried Pfeil baut in Borsdorf alte Zirkusanhänger zu schicken Tiny Houses um. Die Nachfrage nach den Minihäusern steigt, denn Wohnen auf wenig Raum – das liegt im Trend.
Von Gina Apitz
Hochbett, Küche, Badewanne
Siegfried Pfeil steht in einem geräumigen Bauwagen. Von oben dringen ein paar Sonnenstrahlen ins Innere. Es riecht nach Holz. Das liegt daran, dass hier alles aus dem Material hergestellt wurde – die Wände, der Fußboden, die meisten Möbel. Auf etwa 25 Quadratmetern ist in dem Wagen alles versammelt, was man zum Leben braucht: ein Hochbett, eine Küche, ein separates Bad mit Badewanne. In der Mitte steht ein kleiner gusseiserner Ofen, direkt neben dem hölzernen Klapptisch.
Siegfried Pfeil hat in dem Wagen schon einige Monate gelebt. Eigentlich ist das gemütliche Domizil aber das Werk seines Bruders. Eines Tischlermeisters wohlgemerkt, der sich den alten Wagen in sein Zuhause verwandelt hat. Der Fachmann hat hier so gut wie alles selbst gebaut – von den Fenstern und Türen über den Fußboden bis zum Bücherregal.
Selbst eine Badewanne passt ins Tiny House.
In einem der Wagen hat Pfeil eine Sauna eingebaut.
In diesem Wohnwagen soll bald eine Familie mit vier Kindern Urlaub machen.
Wohnwagen als Auftrag gefertigt
Inzwischen fertigt Siegfried Pfeil solche Wohnwagen als Auftrag an. Auf einem Gelände in Borsdorf am Rand von Leipzig werkelt er an solchen Minibehausungen, die derzeit immer stärker nachgefragt werden. Sie folgen dem Trend der „tiny houses”, der„kleinen Häuser”, der vor einigen Jahren aus den USA nach Deutschland schwappte – und noch immer anhält. Statt riesige Immobilen zu kaufen, entscheiden sich auch hierzulande immer mehr Menschen dafür, auf weniger Quadratmetern zu leben. In Wohnwagen oder kleinen sogenannten Modulhäusern, die man bei Bedarf auch auf ein anderes Grundstück verschieben kann.
Die Vorteile liegen auf der Hand: In Zeiten explodierender Kosten – etwa für Baumaterialien – ist es günstiger, sich zu beschränken. „Viele Leute haben keine Lust mehr, ein Haus 40 oder 50 Jahre lang abzubezahlen”, sagt Siegfried Pfeil. Ein Tiny House kann sich der eine oder andere schon eher leisten, ohne sich jahrelang zu verschulden. Hinzu kommt: Energiekosten sind in einem Wohnwagen viel geringer als in einem klassischen Einfamilienhaus.
„Viele Leute haben keine Lust mehr, ein Haus 40 oder 50 Jahre lang abzubezahlen.“
Siegfried Pfeil, Chef der „Rolling Homes“
Seit acht Jahren im Geschäft
Vor acht Jahren hat Siegfried Pfeil damit begonnen, alte Zirkuswagen zu restaurieren. Auch ein Wildtierwagen wurde hier schon zum Wohndomizil umgebaut. „Das war mal ein Tigerkäfig. Der hat richtig gestunken, als der ankam”, erzählt der 34-Jährige und lacht. Inzwischen ist die Nachfrage so groß, dass der Firmenchef gar nicht mehr alle Aufträge abarbeiten kann. Aus ganz Deutschland und teils aus dem Ausland – aus Frankreich, Spanien und Skandinavien – erkundigen sich Menschen nach den „Rolling Homes”, wie die Firma heißt.
Pro Jahr baut Pfeil und sein Team aus Handwerkern zwei mobile Minihäuser. Jedes ist komplett individuell. Das heißt auch: Die Vorbereitung ist alles. Und: „Unsere Kunden können bei allem mitreden.” Wer bei dem Borsdorfer anklopft, sollte zunächst überlegen, wie viel Eigenleistung er investieren will. Danach richtet sich der Preis ganz entscheidend. Die günstigste Option ist das reine Fahrgestell plus Baumaterial, das bekommt man ab 10.000 Euro. Es sind vor allem jüngere Leute, denen die Fachleute nur eine Basis bereitstellen und die sich ihren Wagen teils komplett selbst ausbauen.
So entstehen die Tiny Houses in Borsdorf bei Leipzig.
Leben auf engstem Raum
Variante zwei – der Rohbau auf dem Fahrgestell plus Dach und Fenster – ist ab 30.000 Euro zu haben. „Da kann man viele Fleißarbeiten selbst realisieren, etwa die Dämmung”, spricht Pfeil aus Erfahrung. Wer ein mehr oder weniger komplett fertiges Haus haben will, ist mit mindestens 60.000 Euro dabei – je nach Wahl des Baumaterials. Anders als bei einem Musterhaus wird der Wagen oder das Modulhaus stets „individuell nach den eigenen Wünschen” angefertigt. Die Interessenten müssen sich den Grundriss überlegen, die Position von Fenstern und Türen und wo die Steckdosen hinkommen. Pfeil empfiehlt, sich das Ganze vorab zu visualisieren und sei es mit Pappkartons, die man an die passenden Stellen rückt.
Was der Wohnwagenfan außerdem empfiehlt: Man sollte sich vorab gut überlegen, ob man für ein Leben auf engstem Raum geschaffen ist. So gemütlich die umgebauten Zirkuswagen sein können, die Grundrisse sind häufig offen angelegt, es gibt wenig Rückzugsraum und kaum Stellfläche für persönliche Dinge. „Die wenigsten Menschen sind es gewohnt, auf so kleinem Raum zu wohnen”, gibt Pfeil zu bedenken: „Unsere Wagen passen eher zu Leuten, die ein Stück weit minimalistisch leben.”
Während früher tendenziell jüngere, naturverbundene Menschen in solchen Wagen wohnen wollten, interessieren sich heute zunehmend auch Ältere für die Modelle. Ein Familienvater lässt in Borsdorf derzeit ein Modulhaus für sich und seine zwei Kinder bauen. 40 Quadratmeter, inklusive Anbau, mit Schlafpodest, Eichenfußboden und Glasfasertapete. In etwa drei Monaten soll es fertig sein. Dann wird es per Kran gehoben und auf ein fertiges Fundament gestellt. Das kleine Holzhaus wird demnächst in Mehlmeisel bei Bayreuth stehen, einer Siedlung extra für Tiny Houses.
Die „Rolling Homes“ bleiben meist stehen
Obwohl Pfeils Firma „Rolling Homes“ heißt, sind die Minihäuser nicht unbedingt dafür gedacht, ständig den Standort zu wechseln. „Das ist nichts, was man sich einfach an ein Auto hängt und ohne Probleme ziehen kann.” Per Tieflader werden die Wagen in der Regel an ihren Bestimmungsort gebracht. Da der Aufwand groß ist, sind sie nur für ein oder zwei Umzüge gedacht. Mittlerweile stehen die Pfeil’schen Wagen überall in Deutschland, zwei haben einen Platz in der Schweiz gefunden, einer wird in Dänemark bewohnt.
Ein weiterer der Wohnwagen ist praktisch schlüsselfertig und wartet darauf, demnächst in den hohen Norden ausgeliefert zu werden. Ein Paar mit vier Kindern wird ihn demnächst in Kiel als Ferienwohnung nutzen. In einem Miniraum wurden zwei Stockbetten installiert, Komposttrenntoilette, Gaskühlschrank und Kochfeld ergänzen die Ausstattung. Kostenpunkt: rund 70.000 Euro. „Das sind richtige Outdoorleute”, sagt Pfeil über die Käufer. „Die wollen den Wagen nur zum Schlafen und Kochen nutzen.” Alles andere spiele sich draußen ab. Draußen in der Natur sein, davon träumt auch der Firmenchef selbst. Wenn es die Zeit zulässt, will sich Siegfried Pfeil einen eigenen Wohnwagen ausbauen – und irgendwann in sein ganz persönliches Tiny House einziehen.
In den umgebauten Wohnwagen werden kleine Öfen eingebaut.
Damit ist es auch im Winter schön kuschelig-warm ist.
Das Moduihaus wird demnächst nach Bayern transportiert und steht dann in einer eigenen Siedlung für tiny houses.
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Fotos: Christian Modla
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