Ein grüner Campus
Markus Krabbes, Rektor der Hochschule Merseburg, wirbt für seinen Standort
Von Ulrich Milde
Sein Büro ist überraschend klein, geschätzt höchstens 20 Quadratmeter groß. Die Möbel sind funktional, keineswegs repräsentativ. „Hier ist alles ein wenig bescheidener“, sagt Markus Krabbes, seit anderthalb Jahren Rektor der Hochschule Merseburg. Doch das stört ihn nicht. Der 52-Jährige hat mit seinem neuen Arbeitgeber durchaus Großes vor, will mit ihm raus aus dem Goßstadtschatten. „Das ist hier eine spannende Aufgabe“, sagt er.
Aber keine leichte. Denn Merseburg ist zwar über die Autobahn A38 und zwei Bundesstraßen gut angebunden. Doch die Dom- und Hochschulstadt im Süden Sachsen-Anhalts liegt eben auch in der Nähe der großen Universitätsmetropolen Leipzig und Halle. Und die sind für junge Studierende, auch was die Freizeitaktivitäten anbelangt, eben attraktiver. „Der Wohnortwechsel hierher fällt vielen schwer.“
Doch Krabbes, ein promovierter Ingenieur, ist niemand, der die Flinte ins Korn wirft. „Wir müssen kämpfen, sichtbarer werden – mit großer Präsenz in der Metropolregion Mitteldeutschland und Verweis auf unsere Stärken: kleine Lerngruppen, familiäres Umfeld, günstige Wohnungen, ein grüner Campus der kurzen Wege. Dafür machen wir viel Werbung“, sagt der gebürtige Leipziger.
Vor seinem Wechsel nach Merseburg lehrte der Professor für Informationssysteme an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) in Leipzig, war von 2011 bis 2019 Prorektor für Forschung und zwischendurch, ein Jahr lang, kommissarischer Rektor. „Ich wusste also, was mich an Herausforderungen hier erwartet.“ Zudem hat die große Nachfrage nach einem Studienplatz in Leipzig auch Vorteile: Da dort nicht alle unterkommen können, „müssen wir versuchen, hier eine Alternative zu werden.“
Dabei haben die Merseburger nach Ansicht des Rektors, der in Leipzig studierte, vor allem inhaltlich einiges zu bieten. Da ist zum einen die enge Zusammenarbeit mit vielen regionalen Unternehmen. Es handelt sich also um ein Studium mit großem Praxisbezug, aber zugleich zielgerichteter Forschung und intensiver Betreuung. Hochschule für Angewandte Wissenschaft eben.
Darüber hinaus hat die Hochschule, anders als die in Sachsen, das Promotionsrecht. Schließlich verspricht ein Doktortitel in der Regel den Nachwuchswissenschaftlern Vorteile: Er sorgt oft für einen höheren Verdienst, verschafft Ansehen und Renommee. Studien zufolge verdient ein Doktor im Schnitt im Jahr quer über alle Berufe rund 10 .000 Euro mehr als nicht promovierte Kolleginnen und Kollegen. Wer diesen akademischen Grad erwirbt, hat bewiesen, dass er motiviert ist, Leistung zu zeigen und auch komplexe Aufgaben zu bewältigen.
Merseburger Absolventen haben nach Erfahrung von Krabbes gute Jobchancen. Er nimmt als Beispiel die Chemie im Fachbereich der Ingenieur- und Naturwissenschaften, auf deren Konto ein Drittel der 3000 Studierenden geht. Hier wirkt sich besonders die Nachbarschaft zu den Chemiestandorten Leuna und Schkopau aus. Zu den dort ansässigen Firmen unterhalten Krabbes und seine Lehrkräfte gute, seit Jahren gewachsene Beziehungen, viele Praktika und Abschlussarbeiten entstehen in Kooperation mit den Unternehmen.
„Unsere Absolventen bekommen alle dort gute Jobangebote“, berichtet der Wissenschaftler. Tatsächlich könne die Hochschule den Bedarf an Chemie-Experten gar nicht komplett abdecken. Nun steht das Fach in den Schulen in der Beliebtheitsskala zumeist nicht ganz oben.
Um junge Menschen für die Chemie zu begeistern, „haben wir während der Semester fast täglich Schulklassen bei uns im Schülerlabor ‚Chemie zum Anfassen‘.“ Da wird versucht, spannende Einblicke ins naturwissenschaftliche Experimentieren zu geben. Das Kultusministerium in Magdeburg unterstütze das.
„Wir müssen kämpfen, sichtbarer werden – mit großer Präsenz in der Metropolregion Mitteldeutschland und Verweis auf unsere Stärken: kleine Lerngruppen, familiäres Umfeld, günstige Wohnungen, ein grüner Campus der kurzen Wege.“
Markus Krabbes, Rektor der Hochschule Merseburg
Die Chemie insgesamt hält Krabbes für einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor in der mitteldeutschen Region. „Hier ist ein Hotspot.“ In Leuna – dort wurden seit der Wiedervereinigung mehr als neun Milliarden Euro investiert – sind in der Branche 15. 000 Menschen beschäftigt, in Schkopau sind es 2300. Auch der Chemiepark Bitterfeld mit seinen 15 .000 Arbeitnehmern ist zwar nicht um die Ecke, aber doch auch rasch erreichbar. „Das sind profitable Unternehmen, sowohl aus dem In- als auch aus dem Ausland.“
Doch die Branche steht in Zeiten des Klima- und Umweltschutzes vor massiven Veränderungen. Die Chemie- und Pharmafirmen „sind die Hauptverbraucher von fossilen Rohstoffen“, sagt Peter Seeberger. Wege hin zu einer klimaneutralen Fertigung einschließlich der Kreislaufwirtschaft soll das Großforschungszentrum CTC (Center for the Transformation of Chemistry) in Delitzsch erforschen und dafür sorgen, dass neue Verfahren in die Praxis umgesetzt werden. Der Chemieprofessor Seeberger wird das Zentrum, das für 1,1 Milliarden Euro aus Kohlemitteln errichtet wird, leiten.
Große Erwartungen an das CTC
„Die Entscheidung für das CTC hat bei uns riesige Freude ausgelöst“, betont Krabbes. „Wir sind im Kontakt.“ Schließlich sei vorgesehen, rund ein Drittel der 1000 Jobs, die dadurch geschaffen werden, in Sachsen-Anhalt anzusiedeln. Wahrscheinlich erhält Leuna als Nebenstandort den Zuschlag. „Wir haben die Hoffnung, dass auch die Hochschule Merseburg von den Aktivitäten profitieren wird.“ Die Transformation in der Chemie benötige Grundlagenforschung, wofür das CTC stehe, sagt Krabbes. Das könnte eine wissenschaftliche Gründerzeit auf dem Merseburger Campus auslösen.
Nach Einschätzung des Wissenschaftlers leben die Menschen in Mitteldeutschland „in einer wirtschaftlich profitablen und zukunftsträchtigen Region“. Nun gelte es, die vorhandenen Potenziale zu heben, vor allem bei Bezahlbarkeit und Verfügbarkeit von Rohstoffen und Energie. Krabbes empfiehlt, verstärkt auf Wasserstoff zu setzen. „Das ist unverzichtbar.“ Im Strukturwandel-Projekt „Hydrogen Competence Hub“ bereitet die Hochschule im Verbund Aus- und Weiterbildung von qualifizierten Fachkräften im Bereich der Wasserstofftechnologie vor.
Auch E-Fuels hätten in den richtigen Anwendungen ihre Berechtigung. Und mittendrin befinde sich seine Hochschule, „die wir überregional positionieren wollen“. Um Großes zu erreichen. Dazu hat Krabbes bis zum Ende seiner Amtszeit noch dreieinhalb Jahre Zeit. Aber das muss nicht das Ende sein, er kann wiedergewählt werden. Sein Vorgänger Jörg Kirbs amtierte zehn Jahre.
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Fotos: Hochschule Merseburg, Ulrich Milde | Video: Hochschule Merseburg
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