Aus Sachsen kommt die Zukunft des Bauens
Neue Techniken und Verfahren sollen Klimaziele erfüllen
Von Jochen Reitstätter
Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht die Bau- und Immobilienwirtschaft im Fokus medialer Berichterstattung steht. Mal sind es die einbrechenden Aufträge am Bau, die den Unternehmen zu schaffen machen, mal aus Mietersicht die unzureichende Zahl an neu gebauten Wohnungen.
Dazu kommt, dass seit Jahren der Gebäudesektor seine Zielvorgaben im Bereich des Klimaschutzes nicht erreicht und immer noch für einen erheblichen Teil der Treibhausgasemissionen verantwortlich ist. Gründe genug, um neue Formen des Bauens voranzutreiben und zukunftsfähige Technologien zu entwickeln. Dabei steht der Transformationsprozess der Bauwirtschaft unter den langfristigen Erfordernissen des Klimaschutzes und kurzfristig unter dem Handlungsdruck der aktuell schwierigen Situation. Doch es gibt Lösungen. Eine davon kommt aus Sachsen.
Der Bau von Häusern, Brücken, Tunnel und vielen weiteren Bauwerken ist seit Generationen vom Baustoff Beton geprägt. Zusammen mit der eingelassenen Stahlbewehrung steht er für Stabilität und Dauerhaftigkeit über viele Jahrzehnte. Umweltaspekte hatten dabei wenig Bedeutung, ohnehin gab es keine vergleichbare Alternative zu dem Baustoff. Doch die großen Mengen an Beton, auch um den Stahl im Beton vor Korrosion zu schützen, und der Klimakiller Zement als Bindemittel machen den Baustoff zunehmend unattraktiv.
Sachsen hat bei Zukunftstechnologie Carbonbeton die Nase vorn
Eine Lösung des Betonproblems kommt auch aus Sachsen. „Die Carbonbeton-Technologie wurde im Rahmen mehrerer großer Entwicklungsprojekte, die aus Sachsen heraus initiiert wurden, bis zur Marktreife entwickelt“, so Dr.-Ing. Frank Schladitz, Geschäftsführer des Trägervereins des sächsischen Innovationsclusters C³Saxony, Carbon Concrete Composite e.V. zur Entwicklung des Carbonbetons. Vorteile: Carbon ist korrosionsbeständig, langlebiger und erlaubt eine deutlich geringere Betonummantelung als Stahl. Ziel ist der umfassende Einsatz in der gesamten Baubranche.
Betonwerk Oschatz stellt das Projekt „Das Carbonbetonhaus CUBE“ vor.
Von Holz bis Lehm ist wieder jeder Baustoff denkbar
Die Suche nach Alternativen ist in vollem Gange. Dabei ist die Zukunft der nachhaltigen Baustoffe zweigeteilt, wie Professor Dr. Philip Leistner vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP erläutert. „Erstens müssen die Klimabilanz und Kreislauffähigkeit der bereits sehr verbreiteten Materialien wie Beton, Stahl, Mauerwerk, Glas sowie Dämm-Kunststoffe verbessert werden“, so der Institutsleiter.
„Zweitens haben einige noch weniger eingesetzte Baustoffe wie insbesondere Holz und andere nachwachsende Rohstoffe, aber auch Lehm oder die sogenannten Geopolymere beachtliches Steigerungspotential.“
Eine große Zukunft wird dem regionalen Baustoff Holz vorhergesagt, dessen Bestände jedoch endlich sind. Dabei werden zunehmend auch größere Gebäude mit dem nachwachsenden Rohstoff gebaut oder mit herkömmlichen Baustoffen als Hybrid-Häuser konzipiert.
Auch die Sanierung von Bestandsgebäuden, hier mit Dämmung und vorgehangener Carbonbetonfassade, trägt zur optischen Verschönerung und einer energetischen Ertüchtigung bei.
Bauen 4.0 – Digitalisierung in allen Bauphasen
Die Wahl der Baustoffe ist jedoch nur die eine Seite der Medaille, erklärt Frigga Uhlisch vom Hauptverband der deutschen Bauindustrie. „Automatisierung, Digitalisierung und ein höherer Grad an Vorfertigung im Werk sind ebenfalls wichtige Faktoren, um die Dekarbonisierung in der Bauwirtschaft voranzutreiben und zu einer schnelleren Umsetzung von Bauprojekten zu kommen“, so die Bauexpertin. Wichtig ist dabei, so Prof. Jürgen Weber, Geschäftsführer der Construction Future Lab gGmbH, dass der Bauprozess ganzheitlich betrachtet werden muss.
„Bauen 4.0 umfasst die ganzheitliche Digitalisierung, Automatisierung und Vernetzung der Bauprozesse über alle Lebensphasen der geplanten Anlage hinweg“, erläutert Weber. „Auch die eingesetzten Maschinen und Technologien müssen energieeffizient sein. Neue Verfahren wie der Modulbau oder 3D-Betondruck erlauben zum einen kürzere Bauzeiten, aber auch die Verwendung nachhaltigerer Materialien.“
Vorfertigung ausweiten, Endmontage vereinfachen
Zurück zu den Plattenbauten alten Stils will heutzutage fast niemand mehr, obwohl diese durch die Konstruktionsart aus vorgefertigten Elementen im Hinblick auf Wiederverwertbarkeit und Nachhaltigkeit zur damaligen Zeit durchaus fortgeschritten waren.
„Je mehr im Produktionswerk an Bauteilen für ein Gebäude oder einen Verkehrsbau vorproduziert wird, umso weniger Materialeinsatz ist nötig, da im Werk viel genauer gearbeitet werden kann als vor Ort auf der Baustelle“, zeigt Uhlisch die Zusammenhänge auf. Willkommene „Nebeneffekte“ sind eine Kosteneinsparung und auch weniger Transporte, was die Umwelt schont.
„Die standardisierte Art zu Bauen ermöglicht es schon jetzt, ganze Module in Gebäuden fertig auf die Baustelle zu liefern, so dass auch die Fachleute der einzelnen Gewerke vor Ort deutlich weniger Aufwand haben“, so Uhlisch. In Zeiten von Fachkräftemangel ein gutes Argument der modularen Bauweise.
Fertigteilelemente sind wieder en vogue, um Kosten zu reduzieren.
Ein Haus aus dem 3D-Drucker? Machbar!
Um es vorneweg zu sagen: Der 3D-Druck im Hausbau hat vielerlei Vorteile, der eingesetzte Baustoff Beton, der aus einer Düse des überdimensionalen Druckers kommt, ist es jedoch nicht. Gleichwohl punktet der Drucker trotzdem mit den Vorteilen des geringeren Materialverbrauchs und der Einsparung von Fachkräften auf der Baustelle. In fünf Minuten entstünden so ein Quadratmeter Wohnfläche, wie auf der Internetseite von mcmakler.de für ein Referenzprojekt dargestellt wird.
Sehen Sie im Video vom BR wie Wände mithilfe eines 3D-Druckers aus frischem Beton erstellt werden, ohne herkömmliche Schalungen. Dies spart Zeit und Material. Das erste Wohnhaus mit dieser Technologie steht in Beckum. In Weißenhorn, Bayern, wird Europas größtes Mehrfamilienhaus auf diese Weise gebaut.
Das „nachhaltigste Haus“ steht schon
Durch vielerlei bekannte Maßnahmen können Neubauten faktisch klimaneutral und energieautark betrieben werden, jedoch bleibt die Umweltbelastung für die Herstellung der Materialien und des Baus selbst. Verbrauchstechnisch gesehen kann fast jedes Bestandsobjekt durch Installation von Doppel- oder sogar Dreifachverglasungen, Dämmung der Außenwände, Ausbau und vollständige Isolierung des Dachgeschosses sowie der Kellerdecke und Installation moderner Anlagen zur Belüftung und Feuchtigkeitsregulierung zumindest auf den Standard eines Niedrigenergiehauses gebracht werden, wie auf der Internetseite forum-csr.net zur Frage Neubau versus Sanierung zu lesen ist.
So kommt auch Prof. Dr. Leistner vom IBP zum Ergebnis: „Das nachhaltigste Haus steht schon, ist klimaangepasst und sehr lange mit minimalem Betriebsaufwand nutzbar“, so der Wissenschaftler. Dabei sei ein minimierter Materialeinsatz wichtig, klimaneutrale Baustoffe und der Fokus auf maximale Wiederverwertbarkeit.
„Der Transformationsbedarf in der Bauwirtschaft besteht bei vielen Prozessen und Produkten über den gesamten Wertschöpfungszyklus hinweg.“
Professor Dr. Philip Leistner Leiter des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik IBP
Die Zukunft hat schon begonnen
Bei neuen Bauprojekten fließen die Möglichkeiten neuer Bauweisen und Materialien bereits sukzessive ein. Beim geplante Löwitz Quartier in Leipzig gehört der nachwachsende Rohstoff Holz zur festen Planung, einzelne Gebäude sind in Holzhybridbauweise konzipiert. „Da sich das Baufeld noch in der Konzeptionsphase befindet, sind wir in der privilegierten Lage, stets neue und innovative Methoden in den Prozess miteinfließen zu lassen“, erklärt Bastian Humbach, Geschäftsführer von HAMBURG TEAM Projektentwicklung als Vertreter des Joint Ventures zur Entwicklung des Löwitz Quartiers.
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Wirtschaftszeitung – Das Unternehmerblatt der Leipziger Volkszeitung wirtschaftszeitung@lvz.de; www.lvz.de
Fotos: Betonwerk Oschatz, Nicole Vergin, Adobe Stock
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