Grüner Wasserstoff:
Kann er Leipzigs Wirtschaft helfen, Herr Tobaben?
Grüner Wasserstoff ist für viele ein wichtiger Energieträger für die Zukunft. Doch bis er flächendeckend eingesetzt werden kann, müssen noch viele Weichen gestellt werden. Welche Rolle kann dabei die Region Leipzig spielen? Eine Analyse des Ist-Zustands und ein Blick auf die nächsten Jahre.
Von André Böhmer
Grüner Wasserstoff als kommender CO2 -neutraler Energieträger ist in aller Munde. Doch wie ist die Lage konkret? Was passiert vor Ort? Ab wann könnte er tatsächlich eine große Rolle für die sächsische Wirtschaft spielen? Jörn-Heinrich Tobaben, Geschäftsführer der Metropolregion Mitteldeutschland und Vorstandsmitglied des Wirtschaftsvereins und Wasserstoffnetzwerks Hydrogen Power Storage & Solutions Germany (HYPOS) erklärt die Hintergründe und Pläne zum Großprojekt Wasserstoff.
Herr Tobaben, seit wann genau gibt es HYPOS?
Wir beschäftigen uns als Metropolregion seit 2012 mit dem Thema Wasserstoff und einer entsprechenden Projektidee für Mitteldeutschland. Zuvor haben wir eine eigene kleine Studie zur Region in Auftrag gegeben, die uns Mut gemacht hat, das Projekt anzugehen. 2013 hatten wir die völlig verrückte Situation: Als wirklich niemand öffentlich über Wasserstoff sprach, bekamen wir 45 Millionen Euro vom Bundesforschungsministerium, um das Thema zu erforschen.
Viel Geld, was haben Sie damit gemacht?
Wir haben gemeinsam mit Partnern einen eigenen Förderverein – den Hydrogen Power Storage & Solutions e.V. (HYPOS) gegründet und mit dem Geld 34 Forschungsprojekte in der Region entlang der gesamten Wertschöpfungskette von grünem Wasserstoff umgesetzt – von der Herstellung über die Speicherung und Verteilung bis zur Anwendung in den verschiedensten Bereichen. Ein Projekt, das mehrmals von HYPOS gefördert wurde, ist zum Beispiel der Energiepark Bad Lauchstädt der VNG.
HYPOS Hydrogen Power Storage & Solutions East Germany e.V. zu „Grüner Wasserstoff für die Energiewende“
Wer ist bei HYPOS mit vertreten und bringt sich mit ein?
Der Verein hat aktuell über 170 Mitglieder, darunter auch internationale Partner. Dazu zählen unter anderem das BMW-Werk Leipzig, die TOTAL-Raffinerie in Leuna, der Flughafen Leipzig/Halle, aber auch Mittelständler wie Nikkiso, Cryotec aus Wurzen sowie Forschungseinrichtungen und Hochschulen. Insgesamt sind wir aber unternehmerisch geprägt. Wir sind damit das deutschlandweit zahlenmäßig größte Wasserstoffnetzwerk.
Und von Leipzig aus ziehen Sie dann die mitteldeutschen Wasserstofffäden?
Die Geschäftsstelle ist in Leipzig, der Sitz des Vereins in Halle (Saale). Wir haben die Konstruktion über zwei ostdeutsche Bundesländer bewusst gewählt. Sachsen-Anhalt ist bereits eine etablierte Wasserstoffregion, das wollten wir mit nutzen.
Seit dem Ukraine-Krieg hat das Thema eine neue Dynamik gewonnen. Wir wirkt sich das auf Ihre Strategie aus?
Der Wasserstoffhype hat uns voll erwischt, positiv gesehen. Jedes Mittelzentrum ist jetzt Wasserstoffhauptstadt, was natürlich auch mit den neuen Förderanreizen zu tun hat. Uns freut die Entwicklung aber natürlich, weil wir seit Jahren konsequent an dem Thema und der Perspektive für den Markthochlauf von Wasserstoff arbeiten.
„Nachfragen aus der Industrie werden den Markt für grünen Wasserstoff beflügeln. Das ist großartig. “
Jörn-Heinrich Tobaben Geschäftsführer der Metropolregion Mitteldeutschland und Vorstandsmitglied im Wasserstoffnetzwerk HYPOS.
Das Ziel soll sein, grünen Wasserstoff als alternativen heimischen Energieträger der regionalen Wirtschaft zur Verfügung zu stellen. Und entscheidend ist hier vor allem, wie und wo er produziert werden kann. Kommen Sie da voran?
Wir verfügen in der Region über eine wunderbare Ausgangssituation, und das schon seit Jahrzehnten. Die Linde AG hat ihren weltweit größten Produktionsstandort für grauen Wasserstoff in Leuna. Das heißt, dort wird Erdgas in seine Bestandteile zerlegt und es entsteht grauer Wasserstoff. Wir haben in der Region, und da zählt auch der Leipziger Raum mit Böhlen dazu, eine Gesamtproduktion und einen Verbrauch von 3,6 Milliarden Kubikmetern. Das sind gewaltige Mengen, aber das ist perspektivisch nicht das, was wir wollen.
Und wohin wollen Sie?
Der graue Wasserstoff fungiert als Chemierohstoff, der über etablierte unterirdische Leitungen zwischen den mitteldeutschen Chemiestandorten transportiert wird. Das ist aber etwas anderes als die energiewirtschaftliche Nutzung von Wasserstoff, die jetzt im Fokus steht. Bei der stofflichen Nutzung sind wir seit Jahrzehnten eine etablierte Wasserstoffregion. Jetzt geht es darum, auch im Bereich des grünen Wasserstoffs den Durchbruch im industriellen Maßstab zu schaffen.
Eine Brennstoffzelle für den Antrieb von Gabelstaplern steht im Leipziger BMW-Werk. Die Wirtschaft in der Region Leipzig-Halle setzt für die Energie- und Mobilitätswende auf grünen Wasserstoff. Auf einem „Wasserstoffgipfel“ im Mai vergangenen Jahres präsentierten große Unternehmen von BMW über VNG bis DHL ihre Zukunftspläne zur CO2-Reduzierung. Der Konzern nahm zeitgleich die vierte Wasserstofftankstellen in Betrieb.
Was genau sind die Merkmale von grünem Wasserstoff und wie teuer ist die Herstellung?
Grüner Wasserstoff wird aus Wasser-Elektrolyse erzeugt. Dazu braucht man grünen Strom und Wasser, das aufgespalten wird. Eigentlich eine ganz einfache Sache, das Verfahren ist 100 Jahre alt und Deutschland und Japan sind da ingenieurstechnisch vorn. Der Prozess ist aber noch deutlich teurer als die Produktion von grauem Wasserstoff, so um das Drei- bis Vierfache.
Aber wo in der Region wird jetzt der begehrte grüne Wasserstoff hergestellt?
Aktuell gibt es zwei Standorte, aber keiner davon ist in Sachsen. Wir haben Nobian in Bitterfeld. Da sie grünen Strom (zu 100 Prozent aus regenerativen Energiequellen, Anm. d. Red.) beziehen, können sie auch grünen Wasserstoff weiterverkaufen. Und es gibt die gerade in Betrieb genommene Produktion von ITM Linde im Chemiepark Leuna. Es ist die mit 24 Megawatt derzeit weltweit größte Wasserstoffelektrolyse auf PEM-Basis (Protonenaustausch-Membranen, Anm. d. Red.).
Deuten sich weitere Produktionsstandorte von grünem Wasserstoff an?
Das spannendste Projekt ist für mich in Thierbach bei Borna das HH2E-Projekt, das für eine anfängliche Produktionskapazität von 100 MW geplant ist. Das ist genau die Größenordnung, die der Markt auch sieht, um in eine Eigenwirtschaftlichkeit zu kommen. Das sind Investoren-getriebene Projektentwickler, die die Finanzierung mitbringen, so was brauchen wir jetzt. Wir müssen weg von den Fördermitteln kommen. Wir wollen den Wasserstoffhochlauf und sich wirtschaftlich selbsttragende Projekte.
BMW in Leipzig hat ja angekündigt, die Lackiererei im Werk mit grünem Wasserstoff zu betreiben. Wo soll der herkommen?
Es gibt mehrere Konsortien, die sich aktuell um BMW als Kunden bemühen, das ist wirklich ein Paradigmenwechsel. Bisher haben wir nur darüber geredet und jetzt stellt sich ein globaler Autokonzern hin und sagt, dass er Wasserstoff für seinen Standort kaufen will. Diese und andere konkrete Nachfragen aus der Industrie werden den Markt für grünen Wasserstoff beflügeln. Das ist großartig.
Im „Wasserstoffdorf“ im Chemiepark Bitterfeld-Wolfen verläuft eine Wasserstoffleitung vor der Gasdruckregelanlage. Bild links: Robert Huhn, Professor für Gas- und Wärmenetze an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig, und der wissenschaftliche Mitarbeiter Robin Pischko (v.l.n.r.) kontrollieren verschiedene Werte in der Gasdruckregelanlage.
Aber wie bezieht BMW den neuen Energieträger?
Per Pipeline, wir haben mehrere bereits gebaute Gaspipelines im Leipziger Nordraum, die man für den Transport von Wasserstoff umstellen kann. Wir haben zudem eine Wasserstoffnetzstudie für Mitteldeutschland in Auftrag gegeben, welche die Erzeugungs- und Nachfragepotenziale sowie eine mögliche Wasserstoffinfrastruktur untersucht. Insgesamt ist die Region Mitteldeutschland bereits gut aufgestellt. Was an konkreten Vorhaben perspektivisch umgesetzt wird, ist aber eine Frage der industriellen Nachfrage und eines wettbewerbsfähigen Angebots.
Wasserstoff kommt ja in der öffentlichen Darstellung oft als Energieträger daher, der bald jedes Problem lösen kann. Steckt aber der Teufel nicht eher im Detail? Wo soll zum Beispiel das Wasser herkommen, wenn es künftig weiter so wenig regnet?
Es gibt Engpassfaktoren, die nicht unterschätzt werden dürfen. So muss zwingend die Verfügbarkeit von Wasser an den geplanten Elektrolyse-Standorten geprüft werden. Für ein Kilogramm Wasserstoff sind gut zehn Liter Wasser nötig und die müssen irgendwo herkommen. Doch das allergrößte Problem ist die Verfügbarkeit von Grünstrom, die in eklatanter Weise nicht gegeben ist. Wir brauchen einen Grünstrombooster, sonst gibt es keinen Wasserstoffhochlauf. Nötig für eine wirtschaftlich tragende Wasserstoff-produktion sind vor allem die Grünstrombereitstellung in großen Mengen und der Ausbau der Netzinfrastruktur in Form von Pipelines – den Rest bekommen wir hin.
Sehen Sie da Unterschiede in Mitteldeutschland?
Sachsen-Anhalt hat einen guten Job bei der Verfügbarkeit von Grünstrom gemacht, Sachsen definitiv nicht und Thüringen hat geografische Beschränkungen, ist aber auch kein Musterschüler. In Magdeburg wurde jedenfalls frühzeitig erkannt, dass die Bereitstellung von Grünstrom ein zentraler Standortfaktor sein kann. Ich halte es auch nicht für ein Gerücht, dass das mitentscheidend für die Zusage von Intel war. Der Knoten scheint aber jetzt geplatzt, jetzt ist allen klar, dass es vorwärtsgehen muss. Sachsen braucht einen Produktionsstandort für grünen Wasserstoff und mehr Grünstrom insgesamt.
Auch in der aktuellen Heizungsdebatte wird Privatverbrauchern suggeriert, dass Wasserstoff eine Art Allheilmittel ist. Realistisch?
Das ist mit Verlaub gesagt Quatsch. Grüner Wasserstoff wird auch perspektivisch teuer und nur begrenzt verfügbar sein. Wir plädieren deshalb dafür, vorrangig die Prozesse energieintensiver Unternehmen, etwa Stahlwerke, Raffinerien und Zementwerke darauf umzustellen. Weil dort die größten CO2-Einsparpotenziale vorhanden sind und sich so gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit strukturbestimmender Branchen sichern lässt. Dazu kommen Standorte, wo die bei der Elektrolyse anfallende Prozesswärme sinnvoll genutzt werden kann. Wie beim Heizkraftwerk Leipzig-Süd, wo diese Prozesswärme ins Fernwärmenetz eingespeist werden soll.
Veranstaltungstipp
Auch in diesem Jahr laden die Europäische Metropolregion Mitteldeutschland und das Wasserstoffnetzwerk HYPOS gemeinsam zum Mitteldeutschen Wasserstoffkongress ein.
Wann? 30. August 2023 (10:00-17:00 Uhr) Wo? Rotkäppchen Erlebniswelt (Sektkellereistraße 5, 06632 Freyburg (Unstrut)) und im Livestream
Programm
Die dritte Ausgabe der zentralen Wasserstoffveranstaltung der Region wird mit einigen Neuheiten aufwarten. So werden in mehreren Sessions die Voraussetzungen für den geplanten Markthochlauf von Grünem Wasserstoff unter Beteiligung des Publikums diskutiert. Zu den geplanten Themen gehören u.a. kritische Erfolgsfaktoren für den Aufbau einer mitteldeutschen Wasserstoffwirtschaft, Ansätze zur Preisbildung von Grünem Wasserstoff, die Potenziale internationaler Märkte für die regionale Wasserstoffbranche sowie die politischen Rahmenbedingungen auf europäischer Ebene. Ergänzt wird das Programm durch ein erstmals angebotenes Matching-Format sowie Vorträge zu aktuellen Wasserstoff-Projekten in der Region.
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Fotos: Jan Woitas/DPA, Waltraud Grubitzsch/DPA (3); André Kempner| Videos: HYPOS Hydrogen Power Storage & Solutions East Germany e.V. - YouTube
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