Wie RB Leipzig seinen eigenen Nachwuchs fit fürs Profigeschäft machen will
Von Andreas Neustadt
Der Weg aus dem Nachwuchs in die Bundesliga ist lang und steinig. Zu groß ist für viele Vereine der Spagat zwischen der Entwicklung von jungen Spielern und schnellem Erfolg. Erfahrung statt Talent heißt deshalb oft die Devise auf höchster Fußballbühne. Das ist auch bei RB Leipzig nicht anders.
Allein im Sommer 2022 verließen zwölf Spieler aus dem eigenen Nachwuchs den Verein. Sechs Spieler wurden verliehen, sechs Spieler wurden gleich ganz verkauft. Darunter war auch das Leipziger Top-Talent Sidney Raebiger, der für 80 .000 Euro zum Bundesliga-Absteiger SpVgg Greuther Fürth wechselte. Der damalige Trainer Julian Nagelsmann hatte den talentierten Mittelfeldspieler bereits vor zwei Jahren in den Profi-Kader geholt – als 16-Jährigen. Im Frühjahr 2021 stand der gebürtige Freiberger sogar dicht vor seinem Bundesliga-Debüt. Geklappt hat es allerdings nicht. Nun versucht der inzwischen 17-Jährige sein Glück in der 2. Bundesliga in Fürth.
Die große Karriere im Blick: Sanoussy Ba hat Ende des vergangenen Jahres seinen ersten Profi-vertrag bei RB Leipzig unterschrieben.
Veränderungen angekündigt
Etwa 30 Millionen Euro jährlich investiert RB Leipzig in die Nachwuchs-Akademie, die 2015 eröffnet wurde. Der Ertrag aus dem teuren Nachwuchsleistungszentrum am Cottaweg für das eigene Profiteam war bislang aber nicht besonders groß. Dass soll sich in den nächsten Jahren aber grundlegend ändern.
Der neue Geschäftsführer Max Eberl, der im Dezember seine Arbeit bei RB Leipzig aufgenommen hat, hat bereits Veränderungen im Nachwuchsbereich angekündigt. Mit dem spanischen Talent Hugo Novoa hat bislang nur ein Spieler aus dem eigenen Nachwuchs überhaupt nachhaltig den Sprung in die Bundesligamannschaft geschafft.
Nach nur 23 Pflichtspielen in den letzten beiden Jahren, wurde der 20-jährige Offensivspieler im Winter allerdings für eineinhalb Jahre zum FC Basel verliehen. Hier soll er in der Schweizer Super League und in der Europa League wichtige Spielpraxis sammeln. Spielpraxis, die ihm aufgrund der großen Konkurrenz bei RB Leipzig bislang nicht in nötigem Maße vergönnt war. Immer wieder schaffen Spieler aus der Jugend den Sprung in den Leipziger Bundesliga-Kader – den Durchbruch hat bislang noch niemand geschafft.
Zu groß sind die Ambitionen an der Bundesliga-Spitze und in der Champions League. Um sich dennoch den Traum von der großen Fußballbühne zu erfüllen, bleibt für die Talente oft nur der Wechsel zu einem anderen Verein. Mit Abwehrspieler Sanoussy Ba hofft derzeit ein weiteres Talent bei RB Leipzig auf den großen Durchbruch. Der 19-Jährige, der Ende November seinen ersten Profivertrag unterschrieb, durfte in dieser Saison bereits einige Pflichtspiele auf der großen Bühne bestreiten. Außerdem stehen mit Oskar Preil, Jonas Nickisch und Timo Schlieck noch drei Torhüter aus dem eigenen Nachwuchs im Profikader von RB Leipzig. Die Chancen auf einen Einsatz im Bundesligateam sind für das Trio allerdings – zumindest in dieser Saison – äußerst gering.
Traum von der Profikarriere: Lenny Hennig schafft im Internat am Cottaweg die Grundlagen.
„Es gibt viele Gespräche, in denen wir offen sagen, was wir von den Jungs erwarten. Es hilft ja nichts, wenn man immer nur rosa Wolken malt.“
Sabine Schiefer, Pädagogische Leiterin des Nachwuchsleistungszentrums
Klare Prioritäten: Schule und Fußball
Insgesamt gehen mehr als 250 Spielerinnen und Spieler in den 20 Nachwuchs-Teams für die „Roten Bullen“ auf Punktejagd. Wer einen der insgesamt 50 Plätze im Internat der Nachwuchs-Akademie am Cottaweg ergattert hat, darf von einer Zukunft im Profifußball träumen. Wie Lenny Hennig.
Der 17-Jährige ist seit dem Sommer 2021 im RB-Internat und fühlt sich hier pudelwohl. „Ich spiele aber schon seit der U8 bei RB“, verrät der Jugendliche mit den blonden Haaren. Vor seiner Aufnahme ins Internat stand wie bei allen Internatsbewohnern ein langwieriger Prozess. Sichtung. Eignungstest. Mehrere Gespräche, auch mit den Eltern. „In diesem Prozess der Aufnahme werden die Jungs natürlich intensiv von uns begleitet. Es gibt viele Gespräche, in denen wir offen sagen, was wir von den Jungs erwarten. Es hilft ja nichts, wenn man immer nur rosa Wolken malt“, sagt die Pädagogische Leiterin des Nachwuchsleistungszentrums, Sabine Schiefer. Wir, das sind fünf pädagogische Mitarbeiter, die sich täglich um die Belange der Nachwuchsfußballer kümmern.
Bei den Eltern waren die Reaktionen auf den Internatswunsch von Lenny Hennig unterschiedlich. „Meine Mutti war traurig, als ich aufs Internat gehen wollte. Vati fand’s gut. Er war damals bei Lok, hat den Schritt aufs Internat damals aber nicht gewagt“, sagt er. „Weil ich aus der Nähe von Wurzen komme, habe ich das Privileg, jedes Wochenende nach Hause fahren zu können – zumindest dann, wenn am Wochenende kein Spiel ansteht.“
Die Prioritäten sind für den Innenverteidiger und die anderen Internatsbewohner klar gesetzt: Schule und Fußball. Dass er diesen Spagat täglich richtig gut meistert, wurde im vergangenen Mai im Rahmen der Porsche Jugendförderung „Turbo für Talente“ mit dem Porsche Turbo Award 2022 belohnt.
„Dieser Preis ist für mich eine tolle Anerkennung und macht mich stolz“, sagt Lenny und lächelt dabei. Er besucht das Sportgymnasium in der Marschnerstraße, ist ein guter Schüler. Der Schulstoff falle ihm glücklicherweise leicht. Deshalb müsse der Elftklässler auch nicht viel lernen.
Sein Tag besteht aus Schule, Fußball, schlafen und essen. In seiner knapp bemessenen Freizeit zockt Lenny Hennig gern auch mal am großen Fernseher. Am liebsten FIFA. Gemeinsames Fußballgucken gehört ebenso zur beliebten Freizeitgestaltung wie das regelmäßige Tischtennis spielen.
„Meine Mutti war traurig, als ich aufs Internat gehen wollte. Vati fand’s gut.“
Lenny Hennig, Nachwuchshoffnung RB Leipzig
Gulácsi, Nkunku und Co. vor Augen
Sein Ziel, Fußballprofi zu werden, hat Lenny Hennig täglich vor Augen – und das im wahrsten Sinne des Wortes. Denn wenn er aus den bodentiefen Fenstern seines Internatszimmers schaut, hat er ihn. Diesen Ausblick, für den ihn sicher Hunderttausende Jungen und Mädchen beneiden. Auf die Plätze des Trainingszentrums.
Dort, wo die Stars Nkunku, Forsberg und Co. von Trainer Marco Rose und seinem Team fit gemacht werden. Für Bundesliga, DFB-Pokal und Champions League. Aktuell absolviert Lenny Hennig seine erste offizielle Saison im U17-Bundesliga-Team – und das gleich als Kapitän. Bis zum Ende seiner Internatszeit, die mit dem Schulabschluss endet, will er „bei den Großen reinschnuppern“ und sich dann schrittweise in der Mannschaft etablieren.
Dafür arbeitet das Talent jeden Tag. Auf und neben dem Platz. Selbst wenn er mal frei hat, ist Lenny Hennig mit Freunden auf einem der Plätze am Cottaweg mit dem Ball am Fuß unterwegs, um unter anderem an seinem schwächeren linken Fuß oder seiner Beweglichkeit zu arbeiten. Mit Erfolg: In der WM-Pause im Dezember durfte er mit der Profimannschaft trainieren und Coach Marco Rose hautnah von seinen Fähigkeiten überzeugen.
Keine Schule, kein Training
Der Fokus der Akademie geht weit über Tore und gewonnene Zweikämpfe hinaus. Sabine Schiefer setzt als Pädagogische Leiterin klare Prioritäten. „Die Schule ist bei uns Plan A. Die Regel ist: Keine Schule, kein Training. Das ist auch so mit den Trainern besprochen.“ Auch auf der Suche nach einem beruflichen Leben nach dem Fußball werde mit der Vermittlung von Praktika, Ausbildungsstellen oder Gasthörerschaften an Hochschulen weitergeholfen. Schließlich erfüllt sich am Ende längst nicht für alle Internatsbewohner der Traum vom Profifußball.
Große Fußballbühne: Die Profimannschaft ist das Ziel der RBL Talente.
Wirtschaftsfaktor Nachwuchsarbeit
Für viele Vereine im Profifußball ist die Nachwuchsförderung ein echter Wirtschaftsfaktor. Das Geschäftsmodell: Talentierte Fußballer ausbilden, diesen in der Bundesligamannschaft das Vertrauen schenken und später für Millionen-Ablösesummen an größere Vereine verkaufen. Ein Verein, der traditionell auf den eigenen Nachwuchs setzt und immer wieder überragende Talente hervorbringt, ist der FC Schalke 04.
In den vergangenen fünf Jahren nahm der Verein durch den Verkauf und den Verleih von zwölf Spielern – darunter der deutsche Nationalspieler Thilo Kehrer – aus der eigenen Nachwuchsakademie, der weit über die deutschen Landesgrenzen hinaus bekannten „Knappenschmiede“, insgesamt 79,51 Millionen Euro ein. Zum Vergleich: RB Leipzig nahm im gleichen Zeitraum für sechs Nachwuchsspieler insgesamt 3,72 Millionen Euro ein. Schon vor dem vergangenen Sommer hatten bereits mehr als 50 Talente außerhalb von Leipzig ihr Glück im Profifußball gesucht – die meisten von ihnen ablösefrei.
Einer, der sein fußballerisches Glück außerhalb von Leipzig gefunden hat, ist Ermedin Demirovic. Der Angreifer war drei Jahre in der Akademie, bevor es ihn im Sommer 2017 nach Spanien zog. Zuletzt spielte er zwei Jahre beim SC Freiburg, im Sommer wechselte er zum FC Augsburg. Auch der gebürtige Leipziger Tom Krauß, der im Sommer zum Bundesliga-Aufsteiger FC Schalke 04 ausgeliehen wurde, ist in den vergangenen Monaten längst in der obersten deutschen Spielklasse angekommen. Möglicherweise kommt der 21-jährige gebürtige Leipziger im Sommer zurück in seine Heimat.
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